Watermind
Schwarzkehl-Nachtschwalbe auf dem Keyboard nach und improvisierte daraus ein Antwortriff. Er trank Bier aus einer beschlagenen braunen Flasche, stellte sie neben den Stuhl und spielte dann noch einmal seinen neuen Song, wobei er den Text leise den Engeln zuflüsterte. Dieser Abend war gut, aber der Tag war es nicht gewesen.
Ein Schiff war gesunken, und niemand wusste, warum. Viele Leute waren sauer, aber Max hatte genug davon, sich Sorgen darüber zu machen, wirklich genug. Gleich würde er sein gutes Hemd anziehen, über den Fluss fahren und drei Stunden lang Popmelodien auf einem Highschool-Ball spielen. Heute Abend würde er Keyboard spielen, nicht das frottoir , und Popmusik langweilte ihn. Aber seine Exfrau Sonia hatte einen braunen Umschlag vor die Tür gelegt, vollgestopft mit Maries Arztrechnungen.
Er hatte Ceegie nichts von seiner Tochter Marie erzählt. Obwohl ihm Ehrlichkeit wichtig war, machte er sich Sorgen, dass seine familiären Verpflichtungen Ceegie vertreiben könnten. Er blickte über die leere Veranda. Vertreiben?
Wind fegte über die Dächer und schob die Wolken westwärts, und für einen Moment sang der Fluss lauter. Die Windböen verzerrten die Melodie. Max nahm noch einen Schluck Bier, und die Ester des Alkohols breiteten sich in seinem Körper aus. Er fragte sich, was Ceegie heute Abend machte. Eins wusste er jedenfalls – sie ging nicht ans Telefon.
Er kippelte wieder mit dem Stuhl. Der Halbmond leuchtete durch einen Wald aus Röhren und Kühltürmen des nahe gelegenen Industrieparks, und er stieß mit den Zähnen gegen den gläsernen Flaschenhals. Als die Schwarzkehl-Nachtschwalbe wieder rief, wurde ihr Ruf von den Luftströmungen verzerrt. »Kommst du, kommst du zu mir?«
32
Sonntag, 13. März, 6.30 Uhr
Zwanzig Minuten vor Sonnenaufgang herrschte im Kanalwasser ein kontinuierliches Plätschern. Die Wellen hinterließen eine dunkle feuchte Spur entlang der Baumstämme, Betonkais und Schiffsrümpfe. Es stieg höher und höher, an den Kais und Schiffen hinauf, an den Felsen hinauf. Wärme, Wind und Reibung ließen es oszillieren, eine feucht glänzende Schicht aus Oberflächenspannung legte sich über die nächste, bis es schließlich der Schwerkraft nachgeben musste und unter seinem eigenen Gewicht zusammenbrach.
CJsah es nicht. Sie steuerte ihr gemietetes Boot von Baton Rouge aus flussaufwärts. Sie hatte viel früher losfahren wollen, doch letzte Nacht war alles schiefgegangen. Zuerst konnte sie keine passende Stelle finden, um das Boot zu vertäuen, und hatte an einer Uferstraße anlegen müssen. Als Nächstes war sie durch die gesamte Stadt gefahren, um ein Satellitentelefon zu finden.
Schließlich entdeckte sie einen Elektronikshop in der Nähe der Interstate 10, wo es ein paar von den Dingen gab, die sie brauchte. Nicht alle Waren sahen neu aus. Ein paar davon waren vielleicht gestohlen. Jedenfalls fand sie ein GPS mit elektronischem Kompass, einen technisch ausgefeilten Magnetfeldsucher, ein Messgerät für Radiowellen und Kochgeschirr – sie kaufte alles, was ihr brauchbar erschien.
Danach zwang sie die Erschöpfung zurück ins Motel, wo sie regelrecht zusammenbrach. Leider schlief sie die ganze Nacht durch, und an diesem Morgen war es bereits zu hell und belebt auf dem Wasser gewesen, als dass sie unbemerkt hätte bleiben können. Sie fuhr nördlich am Kanaleingang vorbei und tuckerte am Ufer des Devil's Swamp entlang.
Nichts war natürlich an diesem Teil des unteren Mississippi. Über mehrere hundert Kilometer erstreckten sich auf beiden Seiten des Flusses von Menschen aufgeschüttete Deiche, die länger und höher waren als die Chinesische Mauer. Zu Anfang des 18. Jahrhunderts hatten Ingenieure erste Doppeldeiche angelegt, aber nach der berüchtigten Flut von 1927 hatten sich die Deiche zu Festungen entwickelt.
Durch die zunehmende Bodenversiegelung nahm auch der Umfang des abgeleiteten Wassers zu, und die Fluten kamen schneller, höher und öfter. Und die Ingenieure erhöhten die Deiche mehrmals. Jetzt waren die Hauptdeiche über zwölf Meter hoch, wie ein Paar grasbewachsener Bergrücken. Auf der Flussseite waren sie mit Steinschüttungen und Beton verstärkt, und Steinbuhnen ragten in regelmäßigen Abständen ins Wasser, um die Strömung zu kanalisieren.
Doch der Devil's Swamp wurde von keinem Deich geschützt. Er lag mitten im batture , dem sumpfigen Randgebiet zwischen Fluss und Deich, weil die Ingenieure den Devil's Swamp nicht für schützenswert hielten.
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