Watersong - Wiegenlied: Band 2 (German Edition)
Wellen zogen sie aufs Meer hinaus. Sie wollte schwimmen und gegen die Strömung ankämpfen, war aber viel zu schwach. Das Wasser ergriff von ihr Besitz und zog sie in die Tiefe. Wenn sie sich nicht bald verwandelte, würde sie ertrinken.
Und dann, als Gemma schon dachte, es sei zu spät, geschah es schließlich doch. Es war allerdings nicht so einfach und angenehm wie sonst. Ihre Beine strampelten eine Weile panisch im Wasser herum, ehe sie sich in einen Schwanz verwandelten.
Sie holte tief Luft, erleichtert, wieder atmen zu können, und schwamm los.
Für einen kurzen Augenblick lösten sich alle ihre Sorgen in Luft auf. Ihre Haut fühlte sich lebendig an und prickelte durch die Magie des Wassers. Selbst ihr Kopf begann zu prickeln, und Gemma spürte, wie ihre Haare nachwuchsen. Sämtliche Leiden und Schmerzen fielen von ihr ab.
Während sie schwamm und wie ein Delfin im Wasser herumflitzte, überlegte Gemma, ob sie fliehen sollte. Oder vielmehr davonschwimmen.
Sie könnte alles hinter sich lassen, Penn und die Sirenen und die Frage des Essens. Thea hatte ihr schließlich erzählt, wie Aggie sterben wollte: einfach aufs Meer hinausschwimmen und verhungern. Und das könnte auch Gemma tun. Ohne sie würden nach einer Weile auch die anderen Sirenen sterben und dann wäre alles vorbei.
Aber dann dachte sie an Alex und Harper. Sobald Penn kapiert hätte, dass Gemma abgehauen war und was sie plante, würde sie die beiden aufsuchen und umbringen.
Penn mochte es fertiggebracht haben, ihre eigene Schwester zu töten, aber Gemma wäre niemals dazu in der Lage. Sie konnte nicht einmal den Gedanken ertragen, dass Harper verletzt wurde.
Gemma kam an die Wasseroberfläche, wo die Sonne mittlerweile hinter dem Horizont hervorgekommen war. Sie war weit weg vom Strand, konnte aber trotzdem noch Penns Gestalt erkennen, die am Ufer stand und ihr beim Schwimmen zusah.
In diesem Moment begriff Gemma endlich, dass Penn ein völlig anderes Wesen war als sie. Selbst in Momenten, in denen Gemma richtig wütend auf Harper gewesen war, hätte sie nie davon geträumt, sie umzubringen. Oder sonst jemanden.
Penn mochte böse sein, aber das lag nicht daran, dass sie eine Sirene war. Gemma würde tun, was man ihr sagte, und eine pflichtbewusste Sirene sein, aber sie war fest entschlossen, nicht zu einem solchen Monster zu werden wie Penn.
NEUN
Begräbnis
E s war eine kleine Feier, aber Harper hatte es nicht anders erwartet. Bernie McAllister hatte die Zeremonie selbst geplant, lange vor seinem Tod, und er war ein einfacher Mann gewesen, weshalb es nur logisch war, dass auch seine letzten Wünsche bescheiden waren.
Als Brian von Bernies Tod erfahren hatte, kontaktierte er das Bestattungsinstitut, doch nur um zu erfahren, dass alles längst erledigt und bezahlt war. Dem Bestatter zufolge hatte Bernie schon kurz nach dem Tod seiner Frau vor fünfzig Jahren alles Notwendige in die Wege geleitet.
Soweit Harper wusste, hatte Bernie nur eine Verwandte, eine Schwester, die in England lebte, falls sie überhaupt noch am Leben war. Bernie hatte selten von seiner Familie oder seiner verstorbenen Frau erzählt.
Der Gottesdienst fand im Bestattungsinstitut statt. Bernie hatte vorher keine Totenwache haben wollen und es waren auch kaum Leute anwesend. Er war ein alter Mann gewesen, der sehr zurückgezogen gelebt hatte, und viele seiner Freunde waren schon gestorben.
Der Großteil der Trauergäste waren ehemalige Kollegen. Bernie hatte lange in den Docks gearbeitet, noch bevor Harpers Vater dort angefangen hatte, und war bei seinen Kollegen immer sehr beliebt gewesen.
Die geringe Besucherzahl lag sicher auch daran, dass das Begräbnis an einem Freitagnachmittag stattfand, wo viele Leute nicht freinehmen konnten. Auch Brian hatte es einige Mühe gekostet, seinen strengen Vorgesetzten zu überzeugen, ihn für zwei Stunden gehen zu lassen, aber er hatte die Beerdigung auf keinen Fall verpassen wollen.
Trotz des traurigen Anlasses sah Brian besser aus als seit Tagen. Er hatte sich rasiert, und der schwarze Anzug stand ihm gut, auch wenn er sich nicht besonders wohl darin fühlte. Ihm schien immer unbehaglich zumute zu sein, wenn er mal keine Jeans tragen konnte, doch Harper fand, dass sich ihr Vater zu diesem Anlass angemessen in Schale geworfen hatte.
Vor Beginn der Feier standen die Leute beisammen, unterhielten sich leise und erwiesen Bernie noch einmal die letzte Ehre. Der Sarg war geschlossen, und Harper wusste genau, warum. Sosehr sie sich
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