Watersong - Wiegenlied: Band 2 (German Edition)
sie geht?«
» Sie hat es mir gesagt, als sie mich besucht hat, aber ich erinnere mich nicht mehr.« Nathalie schlug sich heftig gegen den Kopf. » Mein dummes Gehirn funktioniert einfach nicht!«
» Mom, bitte nicht.« Harper ging zu ihrer Mutter und legte ihr sanft die Hand auf den Arm, um zu verhindern, dass sie sich erneut schlug.
» Ich müsste mich doch daran erinnern, Harper!« Nathalie entwand sich ihrem Griff. Dabei stolperte sie über einen Turnschuh am Boden und stürzte.
Harper bückte sich, um ihr aufzuhelfen, doch Nathalie schlug nach ihr und schubste sie weg.
» Mom, bitte«, sagte Harper flehentlich und kauerte sich neben sie. » Lass mich dir doch helfen.«
» Wenn du mir helfen willst, musst du mir sagen, wo Gemma ist«, sagte Nathalie. » Ich habe sie verloren.« Sie fing an zu weinen, dicke Tränen kullerten über ihre Wangen. » Ich kann sie nicht finden. Meiner Kleinen ist was passiert, und ich weiß nicht, wo sie ist.«
Harper schlang die Arme um ihre Mutter und hielt sie ganz fest. Sie strich ihr zärtlich übers Haar, während Nathalie immer wieder schluchzte, sie hätte ihr Baby verloren.
Ihre Mutter weinte lange Zeit, und als sie endlich aufhörte, war sie völlig erschöpft. Harper half ihr ins Bett und Nathalie schlief sofort ein.
Beim Verlassen des Zimmers schloss Harper leise die Tür hinter sich, um die Mutter nicht zu wecken. Becky war in der Küche und deckte den Tisch für das Mittagessen. Sie lächelte Harper verständnisvoll an, als diese müde hereinkam.
» Sie schläft jetzt«, berichtete Harper.
» Gut«, meinte Becky. » Vielleicht hat sie bessere Laune, wenn sie aufwacht.«
» Hoffentlich. Die Sache tut mir wirklich leid.«
Es war natürlich nicht Harpers Schuld, dass Nathalie gelegentlich ausrastete, und tief in ihrem Innern wusste sie das auch. Trotzdem fühlte sie sich für das schlechte Betragen ihrer Mutter verantwortlich. Immer, wenn die Familie erfuhr, dass Nathalie sich den Pflegekräften gegenüber schlecht benahm oder Sachen zerstörte, bekam Harper sofort ein schlechtes Gewissen.
» Mach dir keine Sorgen«, winkte Becky ab. » Sie hatte sowieso eine schlechte Woche.«
» Wieso denn das?«
» Sie hat ständig nach deiner Schwester gefragt, was merkwürdig ist, weil sie sich sonst nicht sehr oft nach euch erkundigt«, sagte Becky mit einem entschuldigenden Blick. » Ich weiß, sie liebt euch beide sehr. Es kommt ihr nur nicht in den Sinn, nach euch zu fragen.«
» Ja, das verstehe ich«, sagte Harper. » Und wie genau hat sie nach Gemma gefragt?«
» Meistens nur, wo sie ist und wann sie wieder mal zu Besuch kommt«, erzählte Becky. » Ich habe ihr gesagt, dass Gemma heute kommen würde. Ich habe wirklich gehofft, es würde sie beruhigen, deine Schwester zu sehen.«
» Tut mir leid. Ich hätte wohl anrufen und es euch sagen sollen«, entgegnete Harper. » Aber Gemma ist nicht… Gemma ist von zu Hause weggelaufen.«
» Ach?« Beckys Augen wurden groß vor Sorge.
» Ja, sie ist Anfang der Woche verschwunden, aber wir wollten es Mom nicht sagen«, erklärte Harper. » Jetzt noch nicht. Ich wollte sie nicht beunruhigen.«
» Natürlich, das verstehe ich.« Becky nickte. » Aber, Himmel, das ist wirklich seltsam. Es scheint fast, als wüsste Nathalie, dass Gemma weg ist.«
» Ja, ich weiß«, stimmte Harper zu. » Ich habe mich schon gefragt, ob Gemma vielleicht irgendwas zu ihr gesagt hat, als sie letzten Sonntag hier war. Hat meine Mutter vielleicht erwähnt, wo Gemma sein könnte?«
In der vergangenen Woche hatten sie den Samstagsbesuch ausfallen lassen, weil Alex’ Freund Luke ermordet worden war und Gemma ihn trösten wollte. Stattdessen waren sie sonntags zum Heim gefahren, doch Gemma hatte ihre Schwester darum gebeten, die Mutter allein sehen zu dürfen.
» Nein, tut mir leid«, sagte Becky betrübt. » Deine Mom hat nach Gemmas Besuch nur gesagt, dass ihre Tochter nun bei Meerjungfrauen leben würde, und da haben wir alle nicht wirklich drauf geachtet. Vielleicht sagt dir das was?«
» Ähm, nein.« Harper schüttelte den Kopf. Sie konnte der Pflegerin schlecht erzählen, dass Gemma sich in eine Sirene verwandelt hatte.
» Tut mir leid«, sagte Becky noch einmal. » Ich wünschte, ich könnte dir mehr sagen.«
» Du hast mir schon sehr geholfen, vielen Dank.« Harper lächelte schwach. » Bis nächste Woche dann.«
Harper war nicht überrascht darüber, dass Gemma ihrer Mutter von ihren Plänen erzählt hatte. Nathalie war der
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