Watersong - Wiegenlied: Band 2 (German Edition)
Deshalb hatte Harper gedacht, es wäre gut, gleich mit dem Putzen zu beginnen. Sie hatte Daniel gebeten, ihr zu helfen, weil sie ein Boot brauchte, um zur Insel zu kommen, und weil sie doch nun Freunde sein wollten.
Die Polizei hatte den Tatort vor ein paar Tagen freigegeben, doch an der Tür und an den Bäumen, wo man den Leichnam entdeckt hatte, klebte immer noch gelbes Absperrband. Davon abgesehen sah es nicht so aus, als wäre seit Harpers letztem Besuch hier viel verändert worden, und sie fragte sich, wie gründlich die Polizei die Insel wohl durchsucht hatte.
Sollten sie Fingerabdrücke genommen haben, würden sich Daniel und Alex eine gute Geschichte ausdenken müssen. Gemmas und Harpers Spuren auf der Insel ließen sich dagegen problemlos erklären, weil sie häufig bei Bernie zu Besuch gewesen waren.
Doch darüber machte sich Harper keine Sorgen. Sie hatte sich bereits zusammen mit Alex und Daniel für diese Nacht ein Alibi ausgedacht, das sie bei der Polizei auch schon angegeben hatten: Sie hätten mit Gemma gestritten, worauf diese mit Penn, Lexi und Thea davongerannt sei.
Und einen guten Grund dafür zu finden, warum Alex und Daniel bei Bernie gewesen sein könnten, war auch nicht schwer gewesen: Vielleicht hatte Alex Gemma mal hier draußen besucht. Und Daniel hatte Bernie seine Einkäufe gebracht.
Beide Ausreden waren glaubhaft, und die Polizei würde vermutlich eher versuchen, die drei unbekannten Fingerabdruckspuren in der Hütte zu identifizieren. Harper bezweifelte allerdings, dass die Sirenen je in irgendeiner Kartei gelandet waren.
» Dann zieht ihr also hier raus?«, fragte Daniel und riss Harper, die die Milch von den Küchenfliesen schrubbte, aus ihren Gedanken.
» Was?« Sie sah zu ihm. Er sammelte gerade Bernies Bücher auf und räumte sie zurück in die Regale.
» Na ja, jetzt, wo euch die Insel gehört, könntet ihr doch hier rausziehen«, meinte Daniel. » Putzen wir nicht deshalb die Hütte?«
» Nein, ich ziehe auf keinen Fall hierher.« Sie hatte die Milch vom Boden entfernt und wusch den Putzlappen im Waschbecken aus.
» Warum nicht?«, fragte Daniel. » Hier ist es doch nett.«
» Ich weiß. Es ist nur…« Sie schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte. » Ich gehe bald aufs College. Und überhaupt– hier sind einfach zu viele Erinnerungen.«
» Zu viele Erinnerungen?« Daniel hatte sämtliche Bücher aufgeräumt und stellte nun den Couchtisch wieder auf die Beine. » Aber sind das nicht hauptsächlich schöne Erinnerungen?«
» Na ja, schon«, sagte sie. » Aber diese letzte Nacht hier…«
Sie griff nach einer Mülltüte, um nicht über den letzten Besuch auf der Insel reden zu müssen, als sie über Bernies Leichnam gestolpert war und die schrecklichen Monster sie und ihre Schwester angegriffen hatten.
» Was wollt ihr dann damit machen?«, fragte Daniel.
» Keine Ahnung«, erwiderte Harper und schaufelte die Essensreste und den Müll vom Boden in den Müllsack. » Die Insel verkaufen vielleicht.«
» Verkaufen?«, wiederholte Daniel ungläubig. » Warum das denn? Will dein Vater wirklich nicht hierherziehen?«
» Das geht nicht«, erklärte Harper. » Ich meine, er könnte schon, aber er kann unser Haus nicht verkaufen, und zwei Häuser zu unterhalten kann er sich wirklich nicht leisten, vor allem, wenn eins davon auf einer Insel steht.«
» Warum kann er euer Haus nicht verkaufen?«, fragte Daniel.
» Weil es mit mindestens drei Hypotheken belastet ist«, antwortete Harper. » Vor neun Jahren hatten meine Mutter und ich einen Autounfall und sie hatte eine Million Arztrechnungen. Der Fahrer war betrunken und hatte kein Geld und keine Versicherung, deshalb blieben alle Kosten an meinem Vater hängen.«
» Oh Mann.« Er verzog das Gesicht. » Das tut mir leid.«
» Du kannst ja nichts dafür. So ist es eben.«
Die Mülltüte war voll. Harper sah sich um und begutachtete das Haus. Sie putzten noch gar nicht so lange, doch es sah schon viel besser aus. Fast so, als würde Bernie noch hier leben.
» Merkwürdiger Gedanke, dass niemand mehr hier wohnen wird«, meinte Harper, mehr zu sich selbst als zu Daniel. » Ich meine, das ist immerhin Bernies Insel.«
» Und es wird auch immer Bernies Insel bleiben«, versicherte Daniel ihr. » Egal, wer hier lebt, es wird immer Bernies Zuhause sein.«
Den Rest des Nachmittags verbrachten sie damit, das kleine Häuschen so gut wie möglich aufzuräumen und zu putzen. Falls Brian die
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