Watersong - Wiegenlied: Band 2 (German Edition)
eine Hand auf die Schulter. » Aber gerade deshalb darfst du nicht einfach ohne ein Wort abhauen. Man weiß nie, wie viel Zeit einem mit den Menschen noch bleibt, die einem etwas bedeuten. Man sollte diese Zeit nicht damit verschwenden, grundlos auszureißen.«
» Du hast recht«, nickte Gemma. » Und es tut mir so leid.«
Inzwischen weinte sie haltlos, also schloss Brian sie in die Arme, und sie schluchzte an seiner Brust. Er küsste ihren Scheitel und hielt sie fest, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
» Jetzt muss ich telefonieren«, sagte er dann. » Ich muss allen sagen, dass sie die Suche nach dir abblasen können, weil du wieder zu Hause und in Sicherheit bist. Aber wir zwei unterhalten uns später weiter. Verstanden?«
» Verstanden«, schniefte Gemma.
» Und du hast Hausarrest, bis du achtzehn bist«, knurrte Brian noch. » Du darfst das Haus nur mit meiner Erlaubnis verlassen und nur mit meiner Erlaubnis Besucher empfangen. Das gilt auch für Alex. Verstanden?«
» Ja«, nickte sie.
» Okay.« Brian ließ seine Tochter widerwillig los. » Aber ich liebe dich und bin froh darüber, dass du wieder hier bist.«
» Danke«, lächelte Gemma unter Tränen. » Es tut mir wirklich leid, dass ich euch solchen Kummer gemacht habe.«
» Gut. Vielleicht hält es dich ja davon ab, noch einmal auszureißen«, sagte Brian. » Und jetzt geh ruhig in dein Zimmer.«
Gemma rannte die Treppe beinahe so schnell hinauf, wie sie heruntergerannt war. Sie knallte ihre Tür ins Schloss, lehnte sich an das Holz und versuchte verzweifelt, nicht in Tränen auszubrechen.
Sie fand es schrecklich, dass sie ihrem Dad solche Angst eingejagt und Harper, Alex und alle anderen durch die Hölle geschickt hatte. Und noch mehr hasste sie es, dass sie es noch einmal tun musste. Falls sie nicht einen Weg fand, die Sirenen aufzuhalten, würde ihr nichts anderes übrig bleiben. Sie würde die Stadt mit ihnen verlassen müssen, um zu verhindern, dass sie noch jemandem das antaten, was sie Bernie und Luke angetan hatten. Und was Gemma selbst Jason angetan hatte.
Ein anderer Ausweg fiel Gemma beim besten Willen nicht ein. Irgendjemand würde verletzt werden, was sie auch tat.
DREIUNDZWANZIG
Geständnis
G emma schlief noch, als Harper das Haus verließ. Nach dem Gespräch mit Brian gestern Abend war ihre Schwester in ihrem Zimmer geblieben. Sowohl Harper als auch Brian hatten mehrmals nach ihr gesehen, aber Gemma hatte die ganze Nacht lang tief und fest geschlafen. Ihre Erlebnisse mit den Sirenen hatten sie offenbar völlig erschöpft.
Auch Harper war wie ein Stein ins Bett gefallen. Die mehr als zwanzigstündige Fahrt war enorm anstrengend gewesen. Aber sie war immer wieder voller Angst davor aufgeschreckt, dass Gemma wieder abgehauen war. Also war sie jedes Mal zum Zimmer ihrer Schwester geschlichen und hatte sich davon überzeugt, dass das nicht stimmte.
Es war ihr auch heute nicht leichtgefallen, das Haus zu verlassen. Harper hatte sich bei der Arbeit entschuldigt, weil sie noch nicht dazu bereit war, Gemma den ganzen Tag allein zu lassen. Nicht, weil Harper ihrer Schwester nicht vertraute, sondern weil sie Angst hatte, die Sirenen könnten sie finden. Sie hatte Daniel ein paarmal angerufen, aber er war nicht ans Telefon gegangen. Und aus irgendeinem Grund machte sie das nervös. Schließlich war auch er an Gemmas Rettung beteiligt gewesen.
Da sie Gemma aber nicht allein zu Hause lassen konnte, hatte Harper Alex angerufen und ihn gebeten, rüberzukommen und auf sie aufzupassen. Gemma schlief immer noch, also machte Alex es sich auf der Wohnzimmercouch bequem.
Er hatte seinen Laptop mitgebracht und setzte sofort seine Internetrecherche darüber fort, wie man den Sirenenfluch brechen konnte.
Beide hofften, dass Gemma ihm dabei helfen würde, wenn sie aufwachte. Schließlich wusste sie mehr über die Mythologie als Alex und Harper. Aber wecken wollten sie sie auch nicht, denn Gemma musste sich dringend ausruhen. Alex würde alleine weitersuchen, bis sie von selbst wach wurde.
Harper hatte überlegt, ob sie ihm einbläuen sollte, dass sein Job war, Gemma zu bewachen. Nicht, mit ihr zu knutschen. Aber ehrlich gesagt lag ihr nicht besonders viel daran, Brian beim Durchsetzen von Gemmas Hausarrest zu unterstützen. Da er selbst bei der Arbeit war, konnte er sich nicht darum kümmern, und normalerweise hätte Harper ihm diese Aufgabe gerne abgenommen. Aber dieses Mal wusste sie, dass Gemma für das, was sie getan hatte, nicht bestraft
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