Watersong - Wiegenlied: Band 2 (German Edition)
werden musste. Und Alex ohnehin nicht. Er hatte sich unglaublich angestrengt, um ihre Schwester zu finden, also stand es ihm zumindest zu, als Ausnahme von der Regel zu gelten. Außerdem war es wichtig, dass er Harper dabei half, Gemma zu bewachen, wenn sie nicht da war.
Dennoch hatte Harper nicht vor, ihren Ausflug zu den Docks besonders lange auszudehnen. Sie wollte Daniel sehen, sich davon überzeugen, dass es ihm gut ging, ihm noch einmal für seine Hilfe danken und dann wieder gehen. Wenn sie all das schaffte, ohne das Boot betreten zu müssen, umso besser.
Nachdem sie sein Gespräch mit Alex gehört hatte, war Harper zu dem Schluss gekommen, dass sie ihn in Zukunft meiden musste. Sie durfte sich nicht auf ihn einlassen, solange Gemma in Gefahr war, und es wäre nicht fair gewesen, ihm falsche Signale zu vermitteln.
Außerdem war es inzwischen grundsätzlich gefährlich geworden, mit Gemma in Verbindung gebracht zu werden. Harper hatte gesehen, wozu die Sirenen fähig waren. Falls Gemma, Alex und sie es nicht schaffen würden, sie aufzuhalten, würden die Monster mit Sicherheit an all den Menschen Vergeltung üben, die versucht hatten, Gemma zu helfen. Und dazu gehörte auch Daniel.
Zumindest, sofern er weiterhin mit Harper in Kontakt blieb. Es wäre viel sicherer für ihn, wenn sie aufhörte, mit ihm zu reden.
Sie würde heute also nur kurz nach ihm sehen und sich vielleicht von ihm verabschieden. Sich definitiv von ihm verabschieden. Sie wusste nur noch nicht, wie sie es formulieren sollte, ohne dass es total bescheuert klang.
Als Harper über die Docks zur Anlegestelle von Daniels Boot lief, ging sie im Kopf noch einmal durch, was sie ihm sagen würde. An den Pollern flatterten rote, weiße und blaue Fähnchen im Wind, als Erinnerung an den Nationalfeiertag am folgenden Wochenende.
Als Harper Daniels Boot erreichte, entdeckte sie zu ihrer Überraschung, dass direkt neben dem Namen Schmutzige Möwe ein Flyer hing.
Sonne und Gischt hatten das Papier bereits verzogen und vergilbt, obwohl der Flyer erst seit wenigen Tagen dort hängen konnte, aber der Schriftzug Hast du mich gesehen? und das große Foto von Gemma, das Alex für die Suchmeldung verwendet hatte, waren noch gut zu erkennen.
Harper beugte sich vor und hielt sich mit einer Hand am Bootsrumpf fest. Sie musste den Flyer abnehmen. Erstens, weil sie nicht mehr daran erinnert werden wollte, dass Gemma verschwunden gewesen war, und zweitens, weil sie nicht wollte, dass die Sirenen eine Verbindung zwischen dem Besitzer des Bootes und ihrer Schwester herstellten.
Sie packte eine Ecke des Flyers und zog daran. In diesem Augenblick schoss ein Schnellboot vorbei, dessen Bugwelle Daniels Boot heftig schwanken ließ.
» Oh nein«, stöhnte Harper.
Sie klammerte sich fester an den Bootsrumpf, aber das führte nur dazu, dass sie ihren bereits unsicheren Halt auf der Mole verlor. Sie versuchte, den Arm um die Reling zu schlingen und sich so festzuhalten, aber sie schaffte es nicht.
In dem Moment, in dem sie ausrutschte und beinahe ins Wasser gefallen wäre, streckte Daniel den Arm über die Reling und hielt sie fest.
» Allmählich frage ich mich, wie du es bisher geschafft hast, ohne mich zu überleben«, sagte er und grinste sie an.
» Ehrlich gesagt war es früher leichter«, keuchte Harper. Sie spürte, dass ihre Arme von starken Händen festgehalten wurden. » Ich hab nicht ständig versucht, auf Boote zu klettern, also bin ich auch nur sehr selten ins Meer gefallen.«
Nachdem Daniel sie hochgehoben und sicher auf dem Deck abgesetzt hatte, verharrte sie noch einen Moment lang in seiner Umarmung. Dann fiel ihr wieder ein, warum sie hier war. Aber was sie tun musste wurde nicht leichter dadurch, wie er sie ansah. In seinen haselnussbraunen Augen lag ein Ausdruck, der ihre Eingeweide zum Glühen brachte.
Und er war schon wieder oben ohne, was alles nur noch schlimmer machte. Wie sollte Harper bloß einen Kerl zurückweisen, der so aussah, wie Daniel ohne T-Shirt aussah?
» Was kann ich heute für dich tun?«, fragte Daniel. Er hatte den Arm immer noch um ihre Taille geschlungen und ihr Oberkörper wurde gegen seinen gedrückt. Sein Bauch und seine Brust fühlten sich gegen ihre weichen Konturen so hart an, als seien sie aus Beton und nicht aus Fleisch und Blut.
» Ich, äh…« Harper fiel nicht mehr ein, was er für sie tun sollte, also schüttelte sie nur den Kopf und löste sich von ihm. Es war unmöglich, zu denken oder auch nur zu atmen,
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