WattenMord (German Edition)
aussiehst.“
Torben Schäfer stand auf und gab ihr ein Zeichen, ihm zu folgen. Er wusste, dass er nur diese eine Chance hatte, die junge Frau für sich zu gewinnen. Und er wollte nichts mehr verschenken. Es war an der Zeit, zu handeln, und wenn es um seine bislang einseitige Liebe zu Levke Kühn ging, war Schäfer auch bereit, Opfer zu bringen. Er ging ins Badezimmer. Altmodisch gefliest, in weiß und blau. Entschlossen trat er ans Waschbecken und betrachtete sich im Spiegel. Wahrscheinlich hatte sie recht, dachte er und fuhr sich über das behaarte Gesicht. Im Spiegel sah er, dass sie ihm gefolgt war. Ein schwer zu deutendes Lächeln hatte sich auf ihre Lippen gelegt. Levke stand mit vor der Brust verschränkten Armen da und lehnte sich an den Türrahmen. Schweigend beobachtete sie, wie aus Torben Schäfer ein anderer Mann wurde …
Ostenfeld, Hauptstraße, 19.30 Uhr
Wiebke, die gar nicht auf Besuch eingestellt war, hatte aus purer Verlegenheit zwei Tiefkühlpizzen in den Backofen geschoben. Im Kühlschrank hatte sie noch zwei Flaschen Bier und eine Flasche von ihrem geliebten Rotwein aus Tarragona gefunden. Die Pizzen hatte sie mit Schinken und einigen Scheiben Käse veredelt, dazu etwas Oregano, und um ein Haar hätten sie den Vergleich mit einer ofenfrischen Pizza vom Italiener standgehalten. War es Wiebke anfangs ein wenig peinlich gewesen, ihrem Vater eine Tiefkühlpizza zu servieren, so hatte er sich zu ihrer Begeisterung über den herrlich duftenden „Mafiakuchen“, wie er es genannt hatte, gefreut.
Beim Essen hatten sie auf die Gegenwart und die Zukunft angestoßen; sie mit ihrem langstieligen Glas, er zünftig mit der Bierflasche. Es war eine herzliche, fast schon feierliche Stimmung zwischen ihnen entstanden, und dies war das erste gemeinsame Abendessen seit vielen Jahren. Nach dem Essen war Norbert Ulbricht aufgestanden und hatte sich von seiner Tochter die Dachwohnung zeigen lassen. Ihm selbst hatte sie das kleine Gästezimmer hergerichtet. Es störte ihn nicht, dass die Wohnung zahlreiche Schrägen aufwies – im Gegenteil: Er fand es gemütlich so, wie es war. Zumindest im Hinblick auf Wohnungen schienen Vater und Tochter den gleichen Geschmack zu haben.
„Eine schöne Wohnung hast du, wirklich.“ Ulbricht stand am Wohnzimmerfenster und blickte hinaus auf den Garten und die dahinter liegende Koppel. „Hier könnte ich es auch aushalten.“
„Es gefällt mir hier auch sehr gut.“ Wiebke war neben ihren Vater getreten und betrachtete ihn von der Seite. Tiefe Furchen durchzogen sein Gesicht, die Ringe unter seinen Augen waren in den letzten Jahren dunkler geworden, so erschien es. Wie gern hätte sie die Zeit zurückgedreht. Nun war sie erwachsen und stand mit beiden Beinen fest im Leben, war sogar in die Fußstapfen ihres Vaters getreten, den sie schon als kleines Mädchen immer bewundert hatte, wenn er Tag und Nacht losgefahren war, um Verbrecher zu jagen. Gern wäre sie an seiner Seite erwachsen geworden, doch ihre Mutter hatte sie mit in den Norden genommen, als sie sich von Norbert Ulbricht getrennt hatte. Und es war ihr nicht schlecht ergangen, doch einen Vater, ihren Vater, hatte sie immer sehr vermisst. Sie fragte sich, warum der Kontakt zwischen Vater und Tochter abgebrochen war und überlegte, ob es ihrer Mutter zuzutrauen war, seine Briefe und Karten einfach verschwinden zu lassen.
„Oh …“ Er lachte, als er ihr ernstes Gesicht sah. „Keine Angst – ich werde mich hier nicht einnisten. Du führst dein eigenes Leben, Wiebke.“
„Darf ich dich was fragen?“
„Sicher.“
„Warum bist du hier?“ Sie schämte sich, kaum dass sie die Frage ausgesprochen hatte und ihr der unterschwellig vorwurfsvolle Ton auffiel.
Er blickte sie mit versteinerter Miene an und dachte angestrengt nach.
Wiebke sah förmlich, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. „Ich habe viele Fehler gemacht in den letzten Jahren.“
„Allerdings.“
Sie biss sich auf die Zunge. „Ich meine, es ist einfach blöd gelaufen. Jahrelang habe ich ein Lebenszeichen von dir herbeigesehnt. Und nun, wo ich schon fast fürchten musste, dass du nicht mehr lebst, stehst du plötzlich in meiner Wohnung.“
„Moment“, fuhr er dazwischen. „Du hast gedacht, dass ich tot bin?“
Wiebke nickte und kämpfte gegen Tränen an. „Wäre das denn so abwegig?“ Neben ihr stand der Mann, zu dem sie als Kind immer ehrfurchtsvoll aufgeblickt hatte. Der Mann, wegen dem sie sich für eine Karriere bei der Polizei
Weitere Kostenlose Bücher