WattenMord (German Edition)
ich weiß nicht, ob ich eine neue Enttäuschung überstehen würde. Trotzdem sehne ich mich nach einem Nest und der Familie.“
„Dann hat dich die Sehnsucht hergetrieben?“ Wiebke empfand Mitleid für ihren Vater und schämte sich ein wenig dafür, dass sie ihn viele Jahre lang gehasst hatte, weil er offenbar kein Interesse mehr daran gehabt hatte, den Kontakt zu seiner sechshundert Kilometer entfernt aufwachsenden Tochter aufrecht zu erhalten.
Er nickte stumm. „Es tut gut, dich zu sehen. Aber du hast nichts gelernt“, sagte er schließlich.
„Wovon redest du?“ Wiebke runzelte die Stirn, als sie den unterschwelligen Vorwurf in der Stimme ihres Vaters heraushörte. Ein wenig fürchtete sie, dass die gute Stimmung, die zwischen ihnen geherrscht hatte, plötzlich verflogen war.
„Du bist ein Bulle geworden – genau wie dein alter Vater.“ Er schüttelte den Kopf.
„War ich nicht schlechtes Vorbild genug für meine Tochter?“
„Ja, ich bin Bulle geworden. So wie mein Vater, auf den ich eigentlich immer stolz war, egal, was später aus unserer Familie geworden ist.“
Norbert Ulbricht winkte ab.
Sie sah ihm an, wie unangenehm es ihm war, dass sie stolz auf ihren Vater war – sogar in all den Jahren, in denen sie sich aus den Augen verloren hatten.
Er setzte sich auf einen der Stühle am Esstisch und verschränkte die Arme vor der Brust. „So, und nun will ich alles von dir wissen. Schluss mit der Vergangenheit. Es gibt ein Privatleben, oder? Gibt es einen Mann in deinem Leben?“
Bevor Wiebke antworten konnte, strich ihr Garfield um die Beine. Sie senkte den Blick, als er leise maunzte. „Ja“, sagte sie. „Aber er ist am ganzen Körper behaart und ziemlich verfressen. Und wenn ich länger arbeiten muss, guckt er mich nicht an, wenn ich dann nach Hause komme.“
Ulbricht lachte. „Den Humor hast du jedenfalls von mir“, stellte er fest.
„Ich wusste gar nicht, dass du überhaupt Humor hast“, konterte sie schlagfertig. Sie ging in die Küche, ihr Vater erhob sich und folgte ihr.
„Darf man hier rauchen?“
Wiebke überlegte und nickte schließlich. „Küche ist okay“, sagte sie und stellte einen Aschenbecher auf den kleinen Küchentisch.
Ulbricht zog eine zerknautschte Zigarettenpackung aus der Brusttasche seines Hemds und zündete sich einen Glimmstängel an. Er öffnete das Küchenfenster. Frische Abendluft wehte in die Küche, er sank auf einen der beiden Stühle am Tisch und beobachtete seine Tochter, wie sie das Fressen für den Kater zubereitete.
„Einen richtigen Mann gibt es nicht?“, hakte er nach und nahm einen Zug an seiner Zigarette. Den Qualm blies er zum Fenster hinaus.
Wiebke unterbrach ihre Arbeit und schüttelte den Kopf. „Du müsstest das doch am besten wissen. Partnerschaft und Bulle sein, das verträgt sich nicht. Aber Tiedje gibt nicht auf. Er ist abgehauen, hat sich eine andere gesucht, und nun versucht er es immer wieder bei mir.“
„Und? Lässt du ihn?“ Ulbricht betrachtete seine Tochter aufmerksam. Der Gedanke, dass seine Tochter von einem Mann geliebt wurde, fühlte sich für ihn noch ungewohnt an.
Wiebke wusste nicht, wie sie auf diese Frage antworten sollte. „Es kommt darauf an. Wahrscheinlich wird es nie wieder so, wie es mal war zwischen uns. Aber wenn mich die Einsamkeit überkommt, ist er da für mich.“
„Immerhin.“
„Und aktuell? Arbeitest du an einem Fall?“
Wiebke füllte Garfields Fressnapf. Der Kater kam in die Küche und blickte sich um. Als er sah, dass sein Napf gefüllt war, begann er zu fressen. Wiebke betrachtete Garfield lächelnd und setzte sich auf den zweiten Küchenstuhl.
„Heute habe ich an einer Wasserleiche gearbeitet – im übertragenen Sinne“, fügte sie schmunzelnd hinzu und berichtete ihm von dem toten Holger Heiners. „Heute Morgen ist der Tote im Großbecken des Multimar Wattforums gefunden worden, und heute Nachmittag haben wir bereits einen Verdächtigen in Untersuchungshaft gebracht“, schloss sie stolz ihren Bericht.
Norbert Ulbricht hatte aufmerksam zugehört. Nachdenklich schüttelte er den Kopf. „Wird denn da nicht weiter ermittelt? Ein Mann in seiner Position hatte doch ein großes gesellschaftliches Umfeld, hatte Freunde und sicher auch Feinde. Was ist mit den Angehörigen des Toten? War er liiert? Wenn ja, müsst ihr die Witwe ins Kreuzfeuer nehmen. Wahrscheinlich gibt es eine hohe Lebensversicherung. Oder die Immobilienfirma gehört ihr, und er war nur das Gesicht des
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