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WattenMord (German Edition)

WattenMord (German Edition)

Titel: WattenMord (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schmidt
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nur ein paar Stunden nicht gesehen. Doch es waren Jahre, die zwischen ihnen lagen, und eigentlich hätten sie sich längst entfremden müssen.
    Sie kämpfte gegen den Wackelpudding in den Knien an, als sie sich an seine Brust warf. Da war er wieder, der gewohnte Duft nach Rasierwasser und Tabak. Also rauchte er noch immer. Doch das alles weckte Kindheitserinnerungen in ihr, und schlaglichtartig sah sie Bilder aus einer längst vergangenen Zeit vor ihrem geistigen Auge aufblitzen. Erinnerungen, die sie schon längst vergessen hatte. So wie sein Geruch, den sie so geliebt hatte. Obwohl sie sich so lange nicht gesehen hatten, war da keine Zurückhaltung, ganz im Gegenteil: Wiebke hatte sich oft über das Verhalten ihres Vaters geärgert, doch all die Vorwürfe waren in der Sekunde, als sie ihm gegenüberstand, vergessen.
    „Papa“, rief sie. „Du bist da.“ Dann kullerte ihr eine dicke Träne über die Wange. „Endlich bist du da!“
    Treia, Grüfter Straße, 18.25 Uhr
    Torben Schäfer hatte es sich in der großen Wohnküche seines Hauses gemütlich gemacht. Auf dem Tisch stand eine frisch zubereitete Kanne Tee, daneben eine Schale mit Kluntjes und ein Milchkännchen. Heute hatte er sich das gute Porzellan, das ihm seine Mutter vererbt hatte, aus dem Schrank im Wohnzimmer geholt.
    Auch Gebäck gab es zur Feier des Tages. Er liebte es, die Abende in der Abgeschiedenheit seines windschiefen Reetdachhauses zu verbringen, in dem er aufgewachsen war. Nach dem Tod seiner Mutter vor sechs Jahren lebte er allein hier. Der Biolehrer war gerade dabei, sich die Pfeife zu stopfen, als es an der Tür klingelte.
    Er wunderte sich, wer ihn um diese Zeit besuchen wollte und blickte auf die laut tickende Wanduhr. Schwerfällig erhob sich Torben Schäfer von seiner Eckbank, ließ schweren Herzens den frisch aufgesetzten Tee zurück und unterbrach seine Zeremonie, um nachzusehen, wer vor der Tür stand. Die Pfeife musste warten. Als es zum zweiten Mal klingelte, kam ein Brummen über seine Lippen.
    „Bin schon unterwegs!“, rief er in die Diele und wäre um ein Haar auf dem gefliesten Boden ausgerutscht. Eilig riss er die Haustür auf und wäre beinahe vor Schreck zurückgeprallt. Mit offenem Mund stand er einfach da und starrte seinen Besuch ungläubig an. Wie oft hatte er sich gewünscht, dass sie ihn hier besuchte?
    In seinen kühnsten Träumen hatte er sich erhofft, mit ihr hier in seinem Elternhaus zu leben. Doch so weit war es nie gekommen, und als er versuchte, rational zu denken, fragte er sich, wie sie an seine Adresse gekommen war.
    Doch er stand einfach da und betrachtete sie. Wie immer sah sie zauberhaft aus. Das lange, blonde Haar umspielte ihre Schultern und leuchtete im warmen Licht der Abendsonne wie eine Gloriole. Sie trug nur dezentes Make-up, mehr hatte sie auch gar nicht nötig. Zu einem kurzen Sommerkleid trug sie modische Schuhe und eine Jeansjacke. Der Duft ihres Parfüms betörte ihn.
    „Du?“, brachte er nun über die Lippen und gab den Eingang seines Hauses frei.
    „Ja, ich.“ Sie nickte und trat in die Diele, blieb stehen, blickte sich um.
    Plötzlich schämte er sich für sein bescheidenes Heim. Die altmodische und vergilbte Tapete im Flur, die alten Fliesen am Boden und die Spiegelgarderobe neben dem Eingang hatten die besten Zeiten längst hinter sich. Natürlich hätte er längst renovieren können, doch ihn verbanden so viele Erinnerungen mit diesem Haus, dass er fast nicht wagte, hier etwas zu verändern. Außerdem fühlte er sich hier wohl. Torben Schäfer war ein bescheidener Mann.
    Obwohl sie längst über die Schwelle getreten war, sagte er: „Komm doch rein.“
    Sie schwieg und folgte ihm in die Wohnküche.
    „Setz dich doch.“
    Wieder dieser Blick. Sie taxierte das Mobiliar und machte keinen Hehl daraus, dass sie sich zwischen den altmodischen Küchenmöbeln nicht sonderlich wohl fühlte. Trotzdem setzte sie sich auf die Eckbank und schlug die Beine übereinander, wobei ihr Rocksaum ein wenig höher rutschte.
    „Ich habe einen Tee aufgesetzt.“ Er setzte sich auf die gegenüberliegende Bankhälfte und lächelte. „Möchtest du auch einen?“
    „Nein, danke.“ Ein freundliches Lächeln, das gekünstelt wirkte.
    Er zuckte die Schultern und schenkte sich eine Tasse ein, gab Kluntjes und einen Schuss Milch hinzu und rührte mit dem kleinen Silberlöffel um, ohne sie aus den Augen zu lassen. Er pustete in den Tee und trank vorsichtig. „Also“, sagte er, nachdem er die Tasse

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