WattenMord (German Edition)
wichtig. So war es für ihn mehr als selbstverständlich, ihr nach dem tragischen Ereignis ein wenig Zeit zum Vergessen einzuräumen.
Das Buch, in dem sie gelesen hatte, bis ihr die Augen zugefallen waren, lag auf ihrer Brust. Der Fernseher lief mit geringer Lautstärke und hatte sie berieselt. Bekes Herz pochte ihr bis zum Hals, als die Tür von außen geöffnet wurde. Im Flur wurde das Licht eingeschaltet. Ein breiter Lichtbalken fiel auf die Dielen im Wohnzimmer. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er sie heute noch besuchte. Dann erinnerte sie sich daran, dass er ihr am Morgen noch gesagt hatte, dass es später werden konnte. Rasch warf sie die Wolldecke, in die sie sich eingekuschelt hatte, zur Seite und stand auf. Polternd landete das Buch auf dem Fußboden.
Im gleichen Moment stand er im Zimmer.
Sein Gesicht glich einer Maske. Starr und unverwandt blickte er sie an. Er stand kurz vor dem Platzen, das sah sie ihm an, doch sie schwieg. Peer trug einen grauen Sommeranzug, das Hemd stand offen, und sie roch an seinem Atem, dass er getrunken hatte. Seine Miene wirkte verschlossen, und seine Kieferknochen mahlten. Breitbeinig stand er da und funkelte Beke an.
„Was hast du den Bullen erzählt?“, fragte er mit drohendem Unterton in der Stimme.
Beke schlug die Arme um ihn, doch er schüttelte sie ab und trat einen Schritt zurück.
„Wovon sprichst du?“, fragte sie verängstigt.
„Das weißt du genau. Wie war das mit Heiners?“
„Ich habe ihn im Becken gefunden, aber das weißt du doch, Peer.“
„Davon spreche ich nicht. Sie waren heute in meinem Büro und wollten mich ausquetschen. Warum hast du ihnen von uns erzählt?“
„Sie haben mich gefragt, und ich habe wahrheitsgemäß geantwortet. Die Polizei sucht nach einem Mörder, Peer. Ich wollte nicht unter Verdacht geraten, verstehst du das nicht?“
Er ging nicht auf ihre Frage ein. „Und an mich hast du nicht gedacht? Ich hänge in der Sache drin, sobald der Verdacht auch nur ansatzweise auf dich fällt!“
„Das tut mir leid“, erwiderte Beke kleinlaut. Peer machte ihr Angst, so rasend vor Wut hatte sie ihn noch nie erlebt. „Ich wollte das nicht.“
„Dafür ist es jetzt zu spät. Ich kann im Augenblick keine Bullen gebrauchen, Beke.“ Er ließ sich auf die Sessellehne sinken und verschränkte die Arme vor der Brust. „Für mich kann das der geschäftliche Durchbruch sein, und wenn es mir gelingt, pünktlich zu liefern, dann habe ich es nicht mehr nötig, in der Werft der alten Leute zu arbeiten. Ich werde ein Pionier der Offshore-Technik sein, und ich werde dafür sorgen, dass die Windenergie bei uns in Husum bleibt und nicht nach Hamburg abwandert. Man wird mich feiern, wenn mir dieses Geschäft gelingt. Ärger mit der Polizei kann das alles gefährden – willst du das?“
Beke schüttelte den Kopf. Sie wanderte ruhelos durch die spärlich beleuchtete Stube und rang mit den feingliedrigen Händen. Ihr Herz raste, und sie zitterte am ganzen Leib.
„Ich wollte unsere Zukunft nicht gefährden.“
„Das hättest du dir vielleicht früher überlegen sollen“, grollte Peer Hansen. „Bevor du mich gebeten hast, dich mitten in der Nacht nach Tönning zu fahren. Ich weiß nicht, was die nächtliche Aktion sollte, aber nach dem, was geschehen ist, kann ich es mir fast denken.“
„Peer – ich hatte etwas im Multimar vergessen, mehr nicht. Oder soll das heißen, du hältst mich für eine Mörderin?“ Sie blickte ihn fassungslos an.
Er zuckte die Schultern. „Mörderin … Lügnerin … Was macht das für einen Unterschied?“
Beke konnte nicht fassen, was Peer Hansen ihr vorwarf. Lag das am Alkohol, oder reagierte er so übertrieben, weil er sich von der Polizei in die Enge getrieben fühlte? Wut und Enttäuschung breiteten sich in ihr aus.
„Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst“, sagte sie leise, während sie gegen die Tränen ankämpfte.
„Das ist alles, was du zu sagen hast?“ Er erhob sich von der Sessellehne.
Sie schwieg.
„Gut“, er nickte. „Dann werde ich verschwinden.“ Peer Hansen warf ihr den Hausschlüssel vor die Füße. „Es ist aus mit uns, Beke. Ich kann nicht damit leben, dass du Geheimnisse vor mir hast.“
„Spinnst du?“, gellte ihre Stimme durch die Wohnung. „Holger Heiners ist tot. Der Mann, der dein ärgster Feind war, lebt nicht mehr. Er ist im Multimar ertrunken, ich habe seine Leiche im Wasser liegen sehen. Ich habe gesehen, wie die Fische ihn angeknabbert haben. Er wird
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