WattenMord (German Edition)
dir nicht mehr zur Last fallen, Peer, hast du das jemals bedacht?“
„Es ist zu spät für uns, Beke.“ Er sprach ruhig und vermied es, zu viel Gefühl in seine Worte zu legen. „So kann es nicht weitergehen und ich werde die Konsequenz ziehen. Wahrscheinlich ist der Altersunterschied einfach doch zu groß.“ Ohne sich ein letztes Mal zu ihr umzublicken, verließ er die Wohnung. Erst als er die Tür hinter sich ins Schloss gezogen hatte, brach Beke Frahm weinend auf dem Fußboden ihrer kleinen Wohnung zusammen.
NEUN
Ostenfeld, 6.40 Uhr
Sie wurde von Musik geweckt. Wiebke blinzelte in die helle Morgensonne, die durch das Rollo in ihr Schlafzimmer drang. Als sie verschlafen an sich herunterblickte, stellte sie fest, dass sie einen ihrer karierten Baumwollpyjamas trug, die sie in kalten Winternächten so sehr liebte. Im Sommer schlief sie entweder nackt oder in einem leichten, übergroßen T-Shirt. Da sie aber nicht wusste, was ihr Vater davon hielt, wenn sie nackt durch das Haus lief, hatte sie sich für ihren kuscheligen Lieblingsschlafanzug entschieden. Dass der Pyjama einmal ein Geschenk von Tiedje gewesen war, verdrängte sie erfolgreich.
Die Nacht war viel zu kurz gewesen, und so brauchte Wiebke einen Moment, bis sie sich an den gestrigen Tag erinnerte. Ihr Vater Norbert Ulbricht war völlig überraschend aufgetaucht; sie hatten bis in die späte Nacht zusammengesessen und geplaudert. Und, so hatten sie festgestellt – die Chemie zwischen Vater und Tochter stimmte auch nach Jahren der Trennung noch. Irgendwann in den frühen Morgenstunden hatten sie sich verabschiedet und sie war hundemüde, aber sehr glücklich ins Bett gekrochen.
Wiebke warf einen Blick auf den kleinen Wecker und schüttelte die restliche Müdigkeit ab. Nun drang ein verführerischer Kaffeeduft in ihre Nase. Sie hörte, dass in der Küche mit Geschirr geklappert wurde. Gut gelaunt stand Wiebke auf, öffnete das Schlafzimmerfenster und atmete tief durch. Der Morgen roch frisch, und auf der Wiese hinter dem Haus glitzerte der Morgentau im Gras wie winzige Perlen in der Sonne. Der Hahn vom Nachbarn krähte, aber das tat er nicht nur im Morgengrauen, sondern den lieben langen Tag. Das Vieh war irgendwie gestört, fand Wiebke.
Der Tag konnte kommen, dachte sie und verließ das Schlafzimmer. Barfuß tappte sie durch den Flur. Dabei führte ihr Weg am Wohnzimmer vorbei. Vater hatte, das sah sie im Vorbeigehen, den Tisch der kleinen Essecke bereits gedeckt.
„Moin“, sagte sie, als sie im Rahmen der Küchentür stand. Ulbricht hatte sie nicht kommen hören und fluchte gerade über seine eigene Unfähigkeit, den Eierkocher zu bedienen. Als er sich zu ihr umwandte, bemerkte Wiebke, dass er eine ihrer Küchenschürzen trug. Natürlich die mit den großen Gummibrüsten, die ihr die Kollegen zum ersten Grillfest der Polizeidirektion geschenkt hatten. Ein Scherzartikel, wie man ihn jedes Jahr zu Karneval in jedem Geschäft hinterhergeworfen bekam.
„Morgen … Na, gut geschlafen?“ Als er ihren amüsierten Blick sah, verharrte er in der Bewegung und blickte an sich herab. „Was gibts denn da zu gaffen?“
„Die Schürze steht dir ganz hervorragend, Papa“, lächelte sie, trat näher und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, was den alten Brummbär prompt erröten ließ.
„Es war die Einzige, die ich gefunden habe“, verteidigte er seinen Anblick.
Bevor Wiebke etwas erwidern konnte, jaulte der Eierkocher auf. Ulbricht zuckte zusammen, Wiebke trat an seine Seite und zog den Netzstecker des kleinen, lärmenden Gerätes. Auf der Stelle kehrte Ruhe ein.
„Das Geräusch weckt ja Tote auf“, brummte Ulbricht.
„In unserem Beruf vielleicht gar nicht mal die schlechteste Erfindung“, lächelte Wiebke. „Abgesehen davon heißt es ,Moin‘, nicht ,Morgen‘. In Friesland grüßt man sich so, und zwar vierundzwanzig Stunden am Tag, Papa.“
„Da kannste mal sehen, dass ihr hier oben Langschläfer seid“, konterte Ulbricht. Dann grinste er wie ein kleiner Junge und strich sich zärtlich über die üppigen Gummibrüste an der Schürze. „Aber schön habt ihr es hier im Norden schon.“
„War klar, Papa.“ Wiebke winkte ab und nahm die Eier aus dem kleinen Gerät auf der Arbeitsplatte. „Das hast du schön gemacht“, sagte sie dann. „Du hast mir kein Frühstück mehr gemacht, seit ich sechs Jahre alt war.“
„Ich habe auch schon den Kater in den Backofen geschoben und die Brötchen gefüttert“, stammelte er ein wenig
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