WattenMord (German Edition)
eines Partners.“ Ulbricht presste die Lippen zusammen. „Ist Herr Jepsen groß und stark genug?“ War es die Handschrift eines wohlhabenden Mannes, seinen Kontrahenten ins Wasser zu stoßen?
„Ich werde ein Disziplinarverfahren gegen Sie anstrengen!“, keifte Gabriele Heiners nun. „Das ist Verleumdung!“ Ihre blassgrauen Augen funkelten ihn wütend an.
Plötzlich ertönte ein markerschütterndes Klirren. Ulbrichts Herzschlag setzte für den Bruchteil einer Sekunde aus, dann sah er, was das Klirren verursacht hatte: Die riesige Fensterfront zeigte Risse, die sich sternförmig ausbreiteten. Im gleichen Augenblick ging ein Scherbenregen nieder, und Ulbricht riss schützend beide Arme vor das Gesicht. Zunächst glaubte er an eine Explosion, doch als die Druckwelle ausblieb, tippte er auf einen Schuss, den man auf die Fensterfront des Hauses abgegeben hatte, die zum Ufer des Mühlenteiches zeigte. Und er war sicher, dass es sich dabei nicht um einen Streich handelte, den irgendwelche Jugendlichen sich geleistet hatten. Hier handelte es sich um ein Attentat auf die Hausherrin. Es war kein einzelner Schuss, der abgegeben worden war – das tödliche Rattern einer Maschinenpistole drang jetzt an Ulbrichts Ohren. Wer auch immer es auf Gabriele Heiners abgesehen hatte, er wollte sicher sein, sie auch aus großer Entfernung, und wahrscheinlich von außerhalb des Zaunes, zu treffen.
Als Ulbricht sich schützend hinter dem Sofa in Deckung gebracht hatte und das Prasseln der Munition verstummt war, drang ein heiseres Röcheln an seine Ohren. Er zwang sich zur Ruhe und spähte vorsichtig über die Lehne des Sofas hinweg. Gabriele Heiners lag inmitten einer Blutlache. Ihr apartes Gesicht war schmerzverzerrt und glich einer Maske. Schwer hob und senkte sich ihre Brust; sie versuchte vergeblich, mit ihrem Mund Worte zu formen, doch es kam nichts als ein Röcheln über ihre Lippen. Die Bluse war zerfetzt und blutdurchtränkt. Es war ein grausamer Anblick, der selbst dem alten Kommissar noch einen Schauer über den Rücken jagte. Plötzlich bäumte sich ihr zierlicher Körper ein letztes Mal auf, bevor sie leblos zusammen sackte.
Hier kam jede Hilfe zu spät – Gabriele Heiners war tot.
„Verdammt“, zischte Ulbricht. „Verdammte Scheiße!“ Er zögerte, dann verließ er seine Deckung und stürmte durch den Raum. Durch die Reste der zerstörten Fensterfront rannte er auf die Rasenfläche und suchte nach dem geheimnisvollen Schützen. Vergeblich. Erst als er hörte, wie ein Motor gestartet wurde, riss er den Kopf nach rechts. Er sah einen grünen Wagen mit durchdrehenden Reifen davonfahren. Dabei handelte es sich um einen VW Golf Country. Ein seltsames Fahrzeug, das nur kurze Zeit hergestellt worden war. VW hatte den seinerzeit braven Golf als Geländewagen aufgerüstet und mit einem leistungsstarken Motor und Allradantrieb ausgerüstet. Ulbricht versuchte einen Blick in das Fahrzeuginnere zu erhaschen, doch die Verglasung des Golfs war staubig. Er blickte dem Wagen hinterher, aber auch das Kennzeichen war von Dreck verschmiert und unleserlich. Dennoch glaubte er ein „SL“ zu erkennen. Ulbrichts Hand zitterte, als er das Handy aus der Tasche zog und den Notruf wählte.
Husum, 12.00 Uhr
Sie trafen Levke Kühn nicht in ihrer Wohnung am Stadtweg an. Die junge Frau wohnte in einem der Mehrfamilienhäuser mit Backsteinfassade, die hier Mitte der 1950er-Jahre entstanden waren. Eine Siedlung, die man in den Jahren nach dem Krieg gebaut hatte, um Wohnraum zu schaffen, der dringend nötig geworden war. Wiebke erinnerte sich daran, dass in einem der Häuser eine Schulfreundin gelebt hatte. Nachdem sie dreimal geklingelt hatten, öffnete sich ein Fenster im Erdgeschoss des Mehrfamilienhauses. Eine grauhaarige Frau im geblümten Kittel legte ihren Oberkörper auf die Fensterbank.
„Wo wollen Sie denn hin?“, krächzte sie. Misstrauen lag in ihrem Blick.
Wiebke trat einen Schritt zurück und schenkte der alten Frau ein freundliches Lächeln. Gleichzeitig zeigte sie ihren Dienstausweis. „Moin, wird sind von der Kripo Husum und würden gern mit Frau Kühn sprechen.“
„Um diese Zeit ist die doch in der Schule. Sie will Lehrerin werden.“
So viel wussten sie auch. „Leider ist Frau Kühn heute nicht zum Dienst erschienen – sie ist krank. Haben Sie eine Ahnung, wo sie sich aufhalten könnte?“
Die Alte schüttelte den Kopf. Dann setzte sie eine besorgte Miene auf. „Da wird doch nichts passiert sein?“
„Das
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