WattenMord (German Edition)
wollen wir mal nicht hoffen“, brummte Petersen und gab Wiebke ein Zeichen. Hier würden sie nicht die gewünschte Information bekommen. Doch Wiebke wollte noch nicht aufgeben.
„Hat Frau Kühn einen festen Freund, den sie unter Umständen besucht haben könnte?“
„Nicht dass ich wüsste“, erwiderte die Alte.
„Ist schon gut“, mischte sich Petersen plötzlich ein.
Wiebke warf ihm einen misstrauischen Blick zu. „Was ist denn los?“
Petersen beantwortete die Frage nicht und widmete sich der alten Frau am Fenster. „Ist Frau Kühn schon mal mit einem Mann hier gewesen?“
„Nee, die doch nicht.“ Sie schüttelte das graue Haupt. „Obwohl ihr bei ihrem Aussehen die Kerls bestimmt zu Füßen liegen. Aber die Levke Kühn ist nicht so, nee, keine Männerbesuche. Wieso fragen Sie?“
„Nur so“, grinste Petersen und bedankte sich bei Levke Kühns Nachbarin. Er gab Wiebke ein Zeichen. „Komm schon“, raunte er ihr zu. „Ich will keine Zeit verlieren.“ Er zog Wiebke zum Auto. Erst als niemand ihnen zuhören konnte, teilte er ihr seine Gedanken mit.
„Die Schulsekretärin hat doch erzählt, dass sich Torben Schäfer krankgemeldet hat. Nicht allein, schon vergessen?“
„Du meinst …“ Wiebke schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn, dass es klatschte. „Verdammt, das ist mir ja total durchgegangen. Klar, die hängt mit diesem Schäfer zusammen.“ Sie zog das Handy heraus und wählte Piet Johannsens Nummer, da sie wusste, dass sie ihn mit Sicherheit erreichen würde. Es dauerte nur zwei Freizeichen, bis er sich meldete.
„Wir brauchen die Anschrift von Torben Schäfer. Er wohnt in Treia.“ Wiebke hörte, wie Johannsen im Hintergrund eine Computertastatur bearbeitete.
„Ich habe ihn“, meldete er dann und nannte ihr die Anschrift.
Wiebke schrieb mit. „Wir werden da jetzt hinfahren und diesem Biolehrer mal auf den Zahn fühlen. Irgendetwas stimmt da nicht.“
„Ihr macht das schon.“
„Was wären wir nur ohne dich, Piet?“
„Nichts, ist doch klar.“ Er legte auf, hatte offenbar keine Lust auf sinnfreies Geplänkel.
„Fahr zu“, rief Wiebke, nachdem Petersen den Motor gestartet hatte. „Ich spüre, dass da was nicht stimmt.“
Petersen rollte mit den Augen. „Geht das schon wieder los?“ Er ahnte, dass es nichts Gutes zu bedeuten hatte, wenn Wiebke etwas zu spüren glaubte, war er doch ein Mensch, der sich lieber auf handfeste Fakten berief, wenn es darauf ankam.
ZEHN
Treia, 11.50 Uhr
Etwas fühlte sich anders an. Sie hatte jedes Raum- und Zeitgefühl verloren und wusste nicht, ob sie die Kälte tatsächlich spürte oder ob sie träumte.
Fremd, unbekannt.
Nur ein Gefühl, aber ein beklemmendes und intensives Gefühl zugleich. Ihr Brustkorb krampfte sich zusammen, sie fühlte jeden einzelnen Herzschlag.
Dumpf erinnerte sie sich daran, Alkohol getrunken zu haben. Viel Alkohol. Und nun lähmte sie Übelkeit. Ihr Schädel dröhnte, und ihr war, als hätte ihr Gehirn den Alkohol wie ein Schwamm aufgesogen und drohte nun, unter der Schädeldecke zu platzen. Sie glaubte zu spüren, wie das Herz ihr Blut durch die Adern ihres Körpers pumpte.
Träge, mühsam.
Sie erwachte, weil sie fror. Levke griff mit geschlossenen Augen nach der Bettdecke und zog sie sich bis zum Kinn. Trotzdem wehte ein frischer Wind durch den Raum, der ihre erhitzte Stirn kühlte. Wie war das möglich? – schlief sie doch niemals bei offenem Fenster.
Die Mücken machten ihr schwer zu schaffen, und so hatte sie es sich schon vor langer Zeit angewöhnt, sich bei einem Kontrollgang davon zu überzeugen, dass alle Fenster und Türen der Appartementwohnung in Husum geschlossen waren, bevor sie zu Bett ging. Es war ein Ritual, das sie jeden Abend durchführte. Erst dann konnte sie sich beruhigt hinlegen.
Doch der Luftzug war vorhanden, daran bestand kein Zweifel.
Entnervt blinzelte Levke und stellte fest, dass die Sonne ihre breiten Strahlen in den Raum warf. Auch das war komisch – sie liebte es, bei absoluter Dunkelheit zu schlafen und zog auch die Rollläden herunter, bevor sie zu Bett ging.
Etwas war anders, etwas fühlte sich anders an.
Unruhe ergriff sie, und Levke öffnete die Augen und kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an. Ihr Schädel pochte, und sie massierte sich die Schläfen. Normalerweise war es nicht ihre Art, während der Woche zu trinken. Und dass sie getrunken hatte, stand fest. Dennoch, und das war der zweite Gedanke an diesem Morgen, der sie erschreckte, konnte
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