Waugh, Evelyn
sämtlichen Hemden auf und davon.«
»Hör mal, ich bin nicht taub. Ich kann mich nur nicht konzentrieren, wenn ein Haufen Leute solchen Krach macht.«
»Jetzt ist wieder Krach.«
»Scheint eine Rede zu sein.«
[417] »Und die andern machen alle ›Psst!‹«
»Eben. Da kann ich mich nicht konzentrieren. Was hast du gesagt?«
»Dieser Kerl ist mit meinen sämtlichen Hemden auf und davon.«
»Der da redet?«
»Nein, nein, ein ganz anderer – Albright heißt er.«
»Glaub ich nicht. Der ist doch tot, hab ich gehört.«
»Nicht der. Dabei hat er sie nicht mal direkt gestohlen. Meine Tochter hat sie ihm geschenkt.«
»Alle?«
»Fast. Ein paar hatte ich in London, ein paar waren in der Wäsche. Hab’s gar nicht glauben können, als mein Diener mir das sagte. Dann hab ich selbst in allen Schubladen nachgesehen. Alles weg.«
»Schöner Mist. Meine Tochter würde so was nie tun.«
Die Proteste der Tischnachbarn nahmen an Lautstärke zu.
»Die können doch unmöglich diese Rede hören wollen. So ein vollendeter Blödsinn.«
»Wir scheinen uns hier unbeliebt zu machen.«
»Weiß gar nicht, wer diese Leute alle sind. Außer Ambrose habe ich noch nie einen davon [418] gesehen. Hab nur gedacht, ich könnte mich mal blicken lassen und ihm den Rücken stärken.«
Peter Pastmaster und Basil Seal nahmen selten an öffentlichen Banketten teil. Sie saßen am Ende eines langen Tischs unter Kerzenleuchtern und Wandspiegeln und sahen, bei allem traditionellen Glanz dieses Hotels, für ihre Umgebung viel zu glanzvoll und privat aus. Peter war ein oder zwei Jahre jünger, aber er hatte es wie Basil verschmäht, sein Leben auf Langlebigkeit oder ein jugendliches Aussehen hin auszurichten. So saßen also hier zwei stämmige, rotgesichtige, aufwendig gekleidete alte Käuze, die genau gleichaltrig wirkten.
Die finsteren Gesichter, die sich zu ihnen umwandten, waren jeden Alters, vom keltischen Barden mit einem Fuß im Grab bis zum mürrischen jugendlichen Kritiker, für den Mr. Bentley, der Organisator des Abends, das Essen bezahlte. Mr. Bentley hatte sein Netz weit ausgeworfen, wie er es ausdrückte. Politiker und Publizisten, Professoren, Kulturattachés, Fulbright-Stipendiaten, Vertreter des Pen-Clubs und Verleger waren da; Mr. Bentley hatte in seinem Heimweh nach der belle époque der amerikanischen Depression, als sich in England die Welten der Kunst, Mode und Politik so harmonisch zusammenfügten, Wert darauf gelegt, dass ein paar frühe Freunde des [419] Ehrengastes anwesend waren, und Peter und Basil hatten sich vor ein paar Wochen zufällig getroffen und beschlossen, zusammen hinzugehen. Zu feiern gab es die mit seinem sechzigsten Geburtstag fast zusammenfallende Verleihung des Verdienstordens an Ambrose Silk.
Ambrose saß weißhaarig, blässlich und abgezehrt zwischen Dr. Parsnip, Professor für dramatische Poesie in Minneapolis, und Dr. Pimpernell, Professor für poetisches Drama in St. Paul. Diese beiden würdevollen Auswanderer waren eigens nach London geflogen gekommen. Es war nicht die Art von Feier, bei der man Orden und Rangabzeichen trug, doch wenn Ambrose die honigsüßen Worte, die von allen Seiten auf ihn eintropften, mit einer zierlichen und leicht missbilligenden Verneigung entgegennahm, konnte keiner seine mühelose Distinktion anzweifeln. Es war Parsnip, der nun stand und sich um Gehör bemühte.
»Ich vernehme den Ruf nach ›Stille‹«, rief er mit geistreicher Spontaneität. Sein Tonfall war ein wenig vom Akzent seines Gastlandes geprägt, doch seine Wortwahl war orthodox – ja erhaben; die vor dreißig Jahren geduldig erarbeitete proletarische Umgangssprachlichkeit hatte er gänzlich abgelegt. »Recht so, denn ist nicht dieses goldene Wort der Inbegriff des Mannes, den wir heute [420] Abend ehren? Die Stimme, die einst so klar die Botschaft ihrer Zeit verkündet, einer Zeit, die für mich und viele andere hier Anwesende stets die glorreichste Dekade der englischen Literatur sein wird, die Dreißigerjahre« (missfälliges Murren des jugendlichen Kritikers), »jene Stimme, die nun, vielleicht verspätet, zuletzt aber doch so glanzvoll geehrt wird durch öffentliche Anerkennung, diese Stimme war ein Vierteljahrhundert still. Still in Irland, still in Tanger, still in Tel Aviv und Ischia und Portugal, still auch jetzt in seiner Londoner Heimat, war unser Ehrengast uns allen strenger Tadel, Gemahnung an künstlerische Zurückhaltung und Integrität. Bücher strömen aus den Druckerpressen, doch
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