Way Out
auf der Hand gelegen. An wen hätten die Leute sonst denken sollen? Weil er der Letzte war, der Kate und Jade lebend gesehen hat.«
»Er hat das Gleiche getan wie Knight fünf Jahre zuvor. So hat die Entführung geklappt.«
»Genau«, wiederholte Reacher. »Das ist die einzig mögliche Erklärung. Er hat sie vielleicht zu Bloomingdale’s gefahren, aber dort jedenfalls nicht gehalten. Er hat nur seine Waffe gezogen und ist weitergefahren. Vielleicht hat er damit gedroht, Kate vor ihrer Tochter zu erschießen. Das hätte sie eingeschüchtert. Dann ist er einfach vom Radar verschwunden und hat sich auf ein gewissermaßen doppeltes Alibi verlassen, für das er vorgesorgt hatte. Erstens galt er als tot. Und zweitens würden sich alle nur an einen Kerl erinnern, der nicht sprechen konnte. An einen Kerl ohne Zunge. Das war eine perfekte Irreführung. Bizarr, exotisch, eine absolute Garantie dafür, dass man in ganz falscher Richtung ermitteln würde.«
Pauling nickte. »In gewisser Weise brillant.«
»Alle haben sich nur an diese Sache erinnert«, erklärte Reacher. »Der alte Chinese? Der wusste eigentlich nur, dass er den Mund geschlossen gehalten und wie ein Fisch nach Luft geschnappt hat. Und der Hausmeister in der Sixth Avenue? Wir wollten etwas über den Kerl hören, und er hat gesagt, er habe die ganze Zeit den Mund fest geschlossen gehalten, als geniere er sich. Das waren Anfang und Ende seiner Beschreibung. Die auffälligste Tatsache, die einzige Tatsache. Damit verglichen war alles andere trivial.«
»Mach den Umschlag auf«, sagte Pauling. »Lass sehen, ob du recht hast.«
Also öffnete Reacher die Klappe und zog die beiden Aufnahmen mit der Bildseite nach unten heraus. Wie ein Falschspieler, der das Glück beschwören will, tippte er mit zwei Fingern auf die Rückseite des oberen Fotos.
Dann drehte er das Bild um.
Es zeigte den Mann, den er zweimal gesehen hatte.
Gar keine Frage.
Taylor.
Weiß, leichter Sonnenbrand, drahtig, scharfe Gesichtszüge, energisches Kinn, kein Lächeln, ungefähr vierzig. Jeans, blaues Hemd, blaue Baseballmütze, weiße Sneaker. Alle Kleidungsstücke bequem und nicht mehr ganz neu. Diese Aufnahme war offensichtlich neueren Datums. Patti Joseph hatte ihn fotografiert, als er an einem Spätsommermorgen aus dem Dakota kam. Er hatte anscheinend auf dem Gehsteig haltgemacht, um nach dem Wetter zu sehen. Dabei hatte das lange Teleobjektiv von Pattis Nikon ihn im idealen Aufnahmewinkel erwischt.
»Gar kein Zweifel möglich«, sagte Reacher. »Das ist der Kerl, den ich in den Mercedes und den Jaguar einsteigen gesehen habe.«
Er drehte das zweite Foto um. Es zeigte Taylor näher herangezoomt. Mit maximaler Vergrößerung, deshalb nicht ganz so deutlich. Vielleicht sogar ein bisschen verwackelt. Und die Scharfeinstellung stimmte nicht ganz. Aber die Aufnahme war trotzdem in Ordnung. Derselbe Ort, derselbe Winkel, ein anderer Tag. Derselbe Kerl. Diesmal hatte er seinen Mund jedoch leicht geöffnet. Die Lippen waren zurückgezogen. Trotzdem lächelte er nicht. Vielleicht zog er bloß eine Grimasse, weil er aus der Eingangshalle des Dakota in den grellen Sonnenschein hinausgetreten war. Er hatte auffällig schlechte Zähne. Einer schien sogar zu fehlen. Die übrigen waren verfärbt und ungleichmäßig.
»Da haben wir’s«, sagte Reacher. »Das hier ist ein weiterer Grund. Kein Wunder, dass alle uns bestätigt haben, er habe die ganze Zeit eisern den Mund gehalten. Schließlich ist er nicht dumm. So hat er nicht nur einen, sondern gleich zwei Besonderheiten unter Verschluss gehalten: seinen englischen Akzent und seine britische Zahnklempnerei. Weil das wirklich kinderleicht gewesen wäre. Jemand aus Lanes Crew hört von einem Engländer mit schlechten Zähnen? Ebenso gut hätte er ein Namensschild um den Hals tragen können.«
»Wo ist er jetzt? England?«
»Das vermute ich. Er ist nach Hause geflogen, weil er sich dort sicher fühlt.«
»Mit dem Geld?«
»Aufgegebenes Gepäck. Drei Koffer.«
»Konnte er das? Fluggepäck wird doch durchleuchtet?«
»Oh, ich denke schon. Ich habe mal einen Vortrag eines Fachmanns über Papiergeld gehört. Übrigens hier in New York City. An der Columbia University. Banknotenpapier ist überhaupt kein richtiges Papier, sondern besteht hauptsächlich aus Leinen und Baumwolle. Es hat mehr Ähnlichkeit mit einem Hemd als einer Zeitung. Ich glaube, es würde beim Röntgen als Kleidung durchgehen.«
Pauling griff nach den beiden Fotos und legte sie
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