Way Out
sagte nichts.
»Aber ich möchte diesen Brewer kennenlernen«, sagte Reacher.
»Warum? Damit Sie unter Kollegen Witze über die verrückte kleine Schwester reißen können?«
»Nein«, antwortete Reacher. »Taugt er als Cop auch nur das Geringste, wird er sich bei den ursprünglichen Ermittlern und den FBI-Agenten informiert haben. Vielleicht hat er ein klareres Bild.«
»In welcher Beziehung klarer?«
»In irgendeiner«, entgegnete Reacher. »Ich wüsste gern mehr.«
»Vielleicht schaut er später vorbei.«
»Hier?«
»Er kommt meistens her, wenn ich etwas telefonisch gemeldet habe.«
»Sie haben gesagt, dass er nichts tut.«
»Ich glaube, dass er nur kommt, um Gesellschaft zu haben. Vermutlich ist er einsam. Er kommt nach Schichtende auf dem Heimweg vorbei.«
»Wo wohnt er?«
»Staten Island.«
»Und wo arbeitet er?«
»Innenstadt.«
»Dann liegt Ihr Apartment nicht gerade auf seinem Heimweg.«
Patti Joseph schwieg.
»Wann ist seine Schicht zu Ende?«, erkundigte sich Reacher.
»Mitternacht.«
»Er besucht Sie nach Mitternacht? Macht diesen weiten Umweg?«
»Ich habe kein Verhältnis mit ihm oder sonst was«, erklärte sie. »Er ist einsam. Ich bin einsam. Das ist alles.«
Reacher sagte nichts.
»Sehen Sie zu, dass Sie mit irgendeiner Ausrede wegkommen«, meinte Patti. »Behalten Sie mein Fenster im Blick. Ist Brewer hier, brennt dahinter Licht. Andernfalls bleibt es dunkel.«
19
Patti Joseph kehrte auf ihren einsamen Wachposten am Fenster zurück, und Reacher verließ das Apartment. Vorsichtshalber umrundete er ihren Block im Uhrzeigersinn und erreichte das Dakota Building von Westen her. Inzwischen war es 21.45 Uhr, ein warmer Abend. Von irgendwoher aus dem Park drang Musik. Stimmen und Musik in weiter Ferne. Ein perfekter Spätsommerabend. In der Bronx oder draußen im Shea gab es vermutlich Baseball, tausend Bars und Klubs kamen allmählich in Fahrt, acht Millionen Menschen blickten auf den vergangenen Tag zurück oder dachten an den kommenden.
Reacher betrat das Gebäude.
Der Portier telefonierte nach oben, dann ließ er ihn zum Aufzug weitergehen. Als Reacher ausstieg und um die Ecke bog, stieß er auf Gregory, der auf dem Korridor auf ihn wartete.
»Wir dachten, Sie seien abgehauen.«
»Hab einen Spaziergang gemacht«, erklärte Reacher. »Irgendwelche Neuigkeiten?«
»Noch zu früh.«
Reacher folgte ihm in das Apartment. Dort roch es säuerlich. Chinesisches Essen, Schweiß, Sorgen. Edward Lane saß in dem Sessel am Telefon. Er starrte an die Decke. Seine Miene wirkte gefasst. Am Ende eines der Sofas neben ihm war ein Platz frei. Das Sitzpolster sah leicht eingedrückt aus. Dort hatte Gregory gesessen, vermutete Reacher. Dann kamen Burke, der still dasaß, Addison, Perez und Kowalski. Carter Groom lehnte an der Wand, behielt aufmerksam die Tür im Auge. Wie ein Wachposten. Ich kenne nur meinen Dienst, hatte er gesagt.
»Wann rufen sie wieder an?«, fragte Lane.
Gute Frage, dachte Reacher . Tun sie’s überhaupt? Oder rufen Sie sie an? Um ihnen den Schießbefehl zu erteilen?
Aber er sagte: »Bestimmt nicht vor acht Uhr morgens. Wegen der Zeit, die sie fürs Fahren und Zählen brauchen, kann der Anruf nicht früher kommen.«
Lane schaute auf seine Uhr.
»In zehn Stunden«, stellte er fest.
»Ja«, sagte Reacher.
In zehn Stunden wird irgendwer jemanden anrufen.
Die erste der zehn Stunden verstrich in tiefem Schweigen. Das Telefon klingelte nicht. Niemand sagte ein Wort. Reacher saß unbeweglich da und spürte, wie die Aussichten auf ein Happy End sich rasch verflüchtigten. Er stellte sich das Doppelporträt im Schlafzimmer vor und hatte das Gefühl, Kate und Jade entfernten sich rasch von ihm. Wie ein nahe an die Erde herangekommener Komet, der dann auf eine neue Bahn gelangt war und jetzt in die eisigen Weiten des Alls davonrasend zu einem winzigen Lichtpunkt wurde, der bald ganz verschwinden würde.
»Ich habe alles getan, was sie verlangt haben«, sagte Lane wie zu sich selbst.
Niemand antwortete.
Der einzelne Mann überraschte seine Gäste, als er ans Fenster trat, statt zur Tür zu gehen. Dann überraschte er sie noch mehr, indem er mit den Fingernägeln an dem Gewebeband zupfte, mit dem der schwarze Stoff auf die Scheibe geklebt war. Er zog das Klebeband ab, bis er ein Rechteck aus Stoff zurückfalten konnte, sodass ein hoher schmaler Streifen von New York bei Nacht sichtbar wurde. Die berühmte Aussicht. Hunderttausend beleuchtete Fenster, die bei Nacht
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