Way Out
Fenstern, Zimmerventilatoren, Fernseher, Radios, summende defekte Leuchtstoffröhren, durch Leitungen fließendes Wasser.
Die Tür von Apartment 3L wies ein dunkles Anstaltsgrün auf, das vor vielen Jahren aufgetragen worden, aber noch immer in Ordnung war. Vermutlich hatte hier noch ein gelernter Maler gearbeitet, der eine gründliche Ausbildung genossen hatte. Die sorgfältige Lackierung war vom Schmutz vieler Jahre überlagert. Ruß von Bussen, Fettdunst aus den Küchen, Schienenabrieb von U-Bahnen. Ungefähr in Höhe von Reachers Brust befand sich ein trüb gewordener Spion in der Tür. Die 3 und das L waren einzeln aus Messing gegossen und exakt lotrecht mit Messingschrauben befestigt.
Reacher trat an die Tür und beugte sich nach vorn. Legte ein Ohr an den Spalt zwischen Türblatt und Türrahmen. Horchte einen Augenblick.
»Dort drinnen ist jemand«, flüsterte er.
37
Reacher beugte sich erneut nach vorn, horchte nochmals. »Geradeaus. Dort redet eine Frau.« Dann richtete er sich auf und trat von der Tür zurück. »Wie sieht der Grundriss vermutlich aus?«
»Ein kurzer Gang«, flüsterte Pauling. »Ungefähr zwei Meter lang, ziemlich schmal, bis er am Bad vorbei ist. Dann öffnet er sich zum vermutlich dreieinhalb bis vier Meter langen Wohnzimmer hin. In die Rückwand dürfte links ein Fenster zum Luftschacht hinaus eingelassen sein. Rechts kommt dann die Küchentür. Die Küche liegt nach hinten und ist nur zwei bis zweieinhalb Meter tief.«
Reacher nickte. Schlimmstenfalls befand sich die Frau in der Küche: höchstens acht Meter in gerader Linie entfernt und von der Wohnungstür aus zu sehen. Trat ein noch schlimmerer Fall ein, hatte sie auf der Arbeitsfläche in der Küche eine geladene Waffe liegen und wusste damit umzugehen.
Pauling fragte: »Mit wem redet sie?«
Reacher flüsterte: »Weiß ich nicht.«
»Es sind die beiden, stimmt’s?«
»Sie wären verrückt, wenn sie noch hier wären.«
»Wer könnte es sonst sein?«
Reacher sagte nichts.
Pauling fragte: »Was haben Sie vor?«
»Was würden Sie tun?«
»Einen Haftbefehl beantragen. Ein SWAT-Team anfordern, schusssichere Westen und einen Rammbock.«
»Diese Zeiten sind vorbei.«
»Was Sie nicht sagen.«
Reacher trat einen weiteren Schritt zurück. Deutete auf die Tür von 3R.
»Warten Sie dort«, sagte er. »Hören Sie Schüsse, rufen Sie einen Krankenwagen. Hören Sie keine, folgen Sie mir in zwei Metern Abstand.«
»Sie wollen einfach anklopfen?«
»Nein«, sagte Reacher.
Er trat noch einen Schritt zurück. Er war einen Meter sechsundneunzig groß und wog ungefähr hundertzehn Kilo. Seine handgenähten Schuhe stammten von der englischen Firma Cheaney in Northampton. Günstiger als Church’s, die im Prinzip die gleichen Schuhe anfertigten, aber mit höherem Preisschild ausstatteten. Das Modell, das Reacher gewählt hatte, hieß Tenterden: ein fester brauner Halbschuh aus stark genarbtem Leder. Größe zwölf. Die Sohlen bestanden aus schwerem Verbundmaterial, das die Firma Dainite zulieferte. Reacher hasste Ledersohlen. Sie nutzten sich zu rasch ab und brauchten nach jedem Regen eine Ewigkeit, um wieder trocken zu werden. Dainite war besser. Die Absätze bestanden aus fünf Schichten und waren gut drei Zentimeter hoch. Die Lederbrandsohle, die Dainite-Sohle, zwei Lagen hartes Cheaney-Leder und eine dicke Lage Dainite.
Jeder seiner Schuhe wog fast ein Kilo.
Die Tür von Apartment 3L wies drei Schlüssellöcher auf. Drei Schlösser. Wahrscheinlich gute. Vielleicht zusätzlich eine Sicherungskette. Aber Schlösser waren nur so gut wie das Holz, in dem sie saßen. Das Türblatt selbst bestand vermutlich aus hundert Jahre altem Douglasienholz. Das galt auch für den Rahmen. Von Anfang an billig, in hundert Sommern feucht und aufgequollen, in hundert Wintern trocken und geschrumpft. Ein bisschen abgenutzt und wurmstichig.
»Achtung«, flüsterte Reacher.
Er verlagerte sein Gewicht auf den hinteren Fuß, starrte die Wohnungstür an und wippte dabei auf den Fußballen wie ein Hochspringer, der einen neuen Rekord anpeilt. Dann setzte er sich in Bewegung. Ein Schritt, zwei. Sein rechter Absatz traf die Tür unmittelbar über der Klinke. Holz zersplitterte, Staub erfüllte die Luft, die Tür flog auf, und Reacher rannte weiter, ohne aus dem Tritt zu kommen. Mit zwei Riesenschritten war er mitten im Wohnzimmer. Dort hielt er inne. Stand einfach nur da und machte große Augen. Lauren Pauling drängte heran und blieb dicht hinter
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