Way Out
»Zentrales Treppenhaus. Lange, schmale Wohnungen über die gesamte Tiefe, je zwei pro Stockwerk, eine links, eine rechts. Drei L ist im dritten Stock links.«
Reacher rüttelte an der massiven Haustür. Sie war abgesperrt.
»Was liegt nach hinten hinaus?«, fragte er.
»Wahrscheinlich ein Luftschacht zwischen diesem und der Rückseite des nächsten Gebäudes in der Greenwich Street.«
»Wir könnten uns vom Dach abseilen und durchs Küchenfenster eindringen.«
»Dafür habe ich in Quantico trainiert«, meinte Pauling. »Aber im Ernst hab ich’s noch nie gemacht.«
»Ich auch nicht«, sagte Reacher. »Nicht durch ein Küchenfenster, nur durch ein Bad.«
»Hat’s Spaß gemacht?«
»Eigentlich nicht.«
»Was tun wir also jetzt?«
Normalerweise hätte Reacher einfach irgendwo geklingelt und sich als UPS- oder FedEx-Zusteller ausgegeben. Aber er war sich nicht sicher, ob das in diesem Gebäude funktionieren würde. Kurierlieferungen kamen hier vermutlich nur sehr selten vor. Und seine innere Uhr sagte ihm, dass es fast vier Uhr nachmittags war. Keine glaubwürdige Zeit für eine Pizza oder chinesisches Essen. Zu spät fürs Mittagessen, zu früh fürs Abendessen. Also drückte er einfach auf alle Knöpfe außer dem von 3L und sagte mit lauter, aber undeutlicher Stimme: »Kann meinen Schlüssel nicht finden.« Und in mindestens zwei Haushalten schien jemand erwartet zu werden, denn der Türöffner summte zweimal, und Pauling stieß die Haustür auf.
Drinnen lag ein düsterer Mittelflur, aus dem eine schmale Treppe nach rechts oben führte. Im ersten Stock machte sie eine Kehre und führte wieder zur Vorderfront des Gebäudes. Sie war mit rissigem Linoleum belegt, wurde von schwachen Glühbirnen beleuchtet und sah lebensgefährlich aus.
»Und jetzt?«, fragte Pauling. »Jetzt warten wir«, erwiderte Reacher. »Mindestens zwei Leute werden den Kopf aus der Tür stecken und Ausschau nach jemandem halten, der seinen Schlüssel vergessen hat.«
Also warteten sie. Eine Minute. Zwei. Im Halbdunkel weit über ihnen wurde eine Tür geöffnet. Dann schloss sie sich wieder. Dann wurde eine zweite, etwas näher liegende Tür aufgemacht. Vielleicht im ersten Stock. Dreißig Sekunden später knallte sie jemand zu.
»Okay«, sagte Reacher. »Jetzt können wir raufgehen.«
Als er auf die unterste Treppenstufe stieg, knarrte sie laut. Das tat auch die zweite und dritte. Pauling folgte ihm, als er die vierte betrat. Bis er die Hälfte der Treppe hinter sich hatte, knarrte und knatterte die ganze Konstruktion wie Kleinkaliberfeuer.
Sie erreichten den Treppenabsatz im ersten Stock ohne irgendeine Reaktion der Bewohner.
Im Flur vor sich sahen sie zwei Wohnungstüren, eine links und eine rechts: 1L und 1R. Die Wohnungen hatten also hintereinander angeordnete Räume mit langen Fluren, die ungefähr in der Mitte zum Eingang hin abknickten. Vermutlich waren an der Wand des kleinen Vorraums hinter der Tür Garderobenhaken angebracht. Geradeaus ging es ins Wohnzimmer. Die Küche lag nach hinten hinaus. Auf der anderen Seite würde man das Bad finden, anschließend das Schlafzimmer, das nach vorn auf die Straße führte.
»Nicht mal übel«, flüsterte Reacher.
Pauling sagte: »Ich würde meine Lebensmittel nicht in den dritten Stock hinauftragen wollen.«
Reacher hatte seit seiner Kindheit keine Einkäufe mehr in ein Haus getragen und meinte: »Sie könnten von der Feuertreppe ein Seil hinunterwerfen und die Sachen ins Schlafzimmer heraufziehen.«
Pauling äußerte sich nicht dazu. Sie machten gemeinsam kehrt und gingen den Flur entlang zum Fuß der nächsten Treppe. Stiegen geräuschvoll in den zweiten Stock hinauf. Dort hatten sie 2L und 2R vor sich: gleich angeordnet wie die unteren Apartments und vermutlich auch identisch mit den über ihnen liegenden Wohnungen.
»Okay, wir machen’s«, sagte Reacher.
Sie gingen den Flur entlang, blieben an der Treppe stehen und sahen im Halbdunkel zum dritten Stock empor. Sie konnten die Tür von 3R sehen, nicht jedoch die von 3L. Reacher ging voraus. Um das Knarren und Knacken zu verringern, nahm er jeweils zwei Stufen auf einmal. Pauling folgte ihm und trat nur auf den Rand der Stufen, wo jede Treppe leiser ist. Sie kamen oben an, blieben horchend stehen. Das Gebäude schien von den Hintergrundgeräuschen zu summen, die zu jedem Mietshaus in einer Großstadt gehören. Autohupen und Sirenengeheul, beides durch dicke Mauern gedämpft. Zehn brummende Kühlschränke, Klimageräte an den
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