Way Out
ihm stehen.
Starrte nur.
Das Apartment war genauso angelegt, wie Pauling vorausgesagt hatte. Geradeaus vor ihnen eine heruntergekommene Küche, links ein vier Meter langes Wohnzimmer mit einem abgenutzten Sofa und einem trüben Fenster zum Lichtschacht hinaus. Die Luft war heiß und stickig. In der Küchentür stand eine dicke Frau in einem formlosen Baumwollkleid. Sie hatte schulterlanges braunes Haar, das sie in der Mitte gescheitelt trug. In einer Hand hielt sie eine geöffnete Suppendose, in der anderen einen hölzernen Rührlöffel. Ihr Mund und ihre Augen waren vor Schrecken und Verwirrung weit aufgerissen. Sie wollte schreien, aber der Schock hatte ihr die Luft aus der Lunge gepresst.
Im Wohnzimmer, auf dem abgenutzten Sofa, lag ein Mann.
Kein Mann, den Reacher jemals zuvor gesehen hatte.
Dieser Mann wirkte krank, vorzeitig gealtert, schrecklich abgemagert. Er hatte keine Zähne. Seine Haut war gelb und mit Fieberschweiß bedeckt. Seine wenigen verbliebenen Haare waren lang, grau und strähnig.
Er hatte keine Hände.
Er hatte keine Füße.
Pauling sagte: »Hobart?«
Den Mann auf dem Sofa konnte nichts mehr überraschen. Schon lange nicht mehr. Es kostete ihn große Anstrengung, nur den Kopf zu bewegen, dann sagte er: »Special Agent Pauling. Ist mir ein Vergnügen, Sie wiederzusehen.«
Er hatte eine Zunge. Aber da er die Worte zahnlos bilden musste, sprach er murmelnd, undeutlich und leise. Und mit schwacher Stimme. Aber er konnte reden. Er konnte sogar ganz gut reden.
Pauling sah die Frau an und fragte: »Dee Marie Graziano?«
»Ja«, antwortete die Frau.
»Meine Schwester«, sagte Hobart.
Pauling wandte sich wieder ihm zu. »Was, zum Teufel, ist mit Ihnen passiert?«
»Afrika«, sagte Hobart. »Afrika ist mir passiert.«
Er trug neue, dunkelblaue Jeans und ein gestreiftes Hemd. Die Ärmel und Hosenbeine waren aufgekrempelt, um seine Arm- und Beinstümpfe freizulegen, auf die irgendeine klare Salbe dick aufgetragen war. Die Amputationen waren primitiv und brutal. Reacher konnte ein Stück gelblichen Unterarmknochen wie eine abgebrochene Klaviertaste aus dem Fleisch ragen sehen. Es hatte keinen Versuch gegeben, das durchtrennte Fleisch zu nähen. Keine Wundversorgung. Hauptsächlich dickes Narbengewebe, das an Verbrennungsnarben erinnerte.
»Was ist mit Ihnen passiert?«, wiederholte Pauling ihre Frage.
»Lange Geschichte«, antwortete Hobart.
»Wir müssen sie hören«, sagte Reacher.
»Wieso? Das FBI ist jetzt hier, um mir zu helfen? Nachdem es die Tür meiner Schwester aufgebrochen hat?«
»Ich bin nicht vom FBI«, erklärte Reacher,
»Ich auch nicht«, sagte Pauling. »Nicht mehr.«
»Was sind Sie also jetzt?«
»Privatdetektivin.«
Hobarts Blick fiel auf Reacher. »Und Sie?«
»So was Ähnliches«, sagte Reacher. »Mehr oder weniger. Freiberuflich. Ich habe keine Lizenz. Früher war ich bei der Militärpolizei.«
Eine Minute lang sprach niemand. »Ich wollte ihm gerade eine Suppe machen«, sagte Dee Marie Graziano.
Pauling sagte: »Machen Sie bitte weiter. Lassen Sie sich nicht aufhalten.«
Reacher ging in den Flur hinaus und drückte die zersplitterte Tür zu, so gut es ging. Als er wieder ins Wohnzimmer zurückkam, stand Dee Marie in der Küche und hatte unter einem Kochtopf eine Gasflamme angezündet. Jetzt kippte sie die Suppe aus der Dose in den Topf und rührte sie um. Pauling starrte noch immer den Vierfachamputierten auf dem Sofa an.
»Was ist mit Ihnen passiert?«, fragte sie ihn zum dritten Mal.
»Erst isst er!«, rief Dee Marie aus der Küche.
38
Hobarts Schwester saß auf dem Sofa neben ihm, legte seinen Kopf in ihren Schoss und fütterte ihn langsam und behutsam mit einem Löffel. Hobart leckte sich nach jedem Mundvoll die Lippen und machte zwischendurch Bewegungen, als wollte er eine seiner fehlenden Hände heben, um sich ein paar Tropfen Suppe vom Kinn abzuwischen. Im ersten Augenblick wirkte er überrascht, dann bedauernd, als staunte er darüber, wie lange die Erinnerung an einfache Bewegungen anhielt, selbst wenn sie schon längst nicht mehr möglich waren. Seine Schwester wartete jedes Mal, bis sein Arm wieder herabgesunken war, und wischte ihm dann das Kinn mit einem Handtuch ab: zärtlich, liebevoll, als wäre er ihr Kind, nicht ihr Bruder. Die Suppe war dick und bestand aus irgendeinem hellgrünen Gemüse, vielleicht Linsen, Sellerie oder Spargel. Als der Teller leer war, wies das Handtuch zahlreiche Flecken auf.
Pauling sagte: »Wir müssen mit
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