Way Out
kleine Stars and Stripes als Ärmelaufnäher an unseren Kampfanzügen, und ich habe mir eingebildet, sie hätten eine gewisse Wirkung. Die ersten Tage waren chaotisch. Wir lagen ständig in Ketten, aber das geschah nicht aus Grausamkeit, sondern eher aus Notwendigkeit. Sie verfügten über kein Gefängnis, in das sie uns hätten stecken können. Sie lebten eigentlich von gar nichts. Sie waren seit Jahren im Busch und besaßen deshalb keinerlei Infrastruktur. Sie gaben uns Essen. Es war ein Fraß, aber sie bekamen selbst nichts Besseres, und wir mussten froh sein, dass sie uns nicht hungern ließen.
Nach etwa einer Woche stand fest, dass der Staatsstreich erfolgreich gewesen war; deshalb marschierten sie in O-Town ein. Sie nahmen uns mit und sperrten uns ins städtische Gefängnis. Ungefähr vier Wochen lang waren wir dort in einem separaten Flügel untergebracht. Wir haben uns ausgerechnet, dass sie vielleicht mit Washington verhandelten. Sie brachten uns Essen und ließen uns ansonsten in Ruhe. Wir konnten manchmal hören, dass andere Gefangene misshandelt wurden, aber wir dachten, wir seien etwas Besonderes. Im Vergleich zu dem, was später kam, war dieser erste Monat insgesamt wie ein Tag am Strand.«
»Was ist später gekommen?«
»Sie haben ihre Verhandlungen mit Washington eingestellt oder aufgehört, uns für etwas Besonderes zu halten, denn sie haben uns aus dem Seitenflügel geholt und zu allen anderen gesteckt. Und das war schlimm. Wirklich schlimm. Unglaubliche Überfüllung, Schmutz, Krankheiten, kein sauberes Wasser, fast kein Essen. Wir waren binnen vier Wochen zu Skeletten abgemagert. Zu Wilden wurden wir nach acht. Ich konnte mich ein halbes Jahr lang nicht hinlegen, so überfüllt war diese erste Zelle. Wir standen buchstäblich knöcheltief in der Scheiße. Es gab Würmer. Nachts war die ganze Zelle voll von ihnen. Um uns herum sind Leute an Hunger und Krankheiten gestorben. Dann haben sie uns vor Gericht gestellt.«
»Man hat Ihnen den Prozess gemacht?«
»Ich denke, dass es eine Verhandlung war. Vermutlich wegen Kriegsverbrechen. Ich habe von allem kein Wort verstanden.«
»Haben sie nicht Französisch gesprochen?«
»Französisch sprechen Regierungsmitglieder und Diplomaten. Alle anderen verständigen sich in irgendwelchen Stammessprachen. Für mich waren das nur zwei Stunden unverständliches Palaver, dann haben sie uns schuldig gesprochen. Als wir ins Gefängnis zurückgebracht wurden, stellte sich heraus, dass wir bisher in der Prominentenabteilung gesessen hatten. Jetzt kamen wir zu den gewöhnlichen Häftlingen, bei denen alles noch viel schlimmer war. Zwei Monate später dachte ich, viel tiefer könnte ich im Leben nicht mehr sinken. Aber das war falsch gedacht, weil ich kurze Zeit später Geburtstag hatte.«
»Was ist an Ihrem Geburtstag passiert?«
»Ich habe ein Geschenk bekommen.«
»Nämlich?«
»Ich durfte mir etwas aussuchen.«
»Was denn?«
»Sie haben ungefähr ein halbes Dutzend Kerle rausgeholt. Ich denke, wir hatten alle am gleichen Tag Geburtstag. Sie haben uns auf den Innenhof geführt. Dort ist mir als Erstes ein großer Teerkessel auf einem Propanbrenner aufgefallen. Der Teer hat brodelnd gekocht. Sein Geruch war mir aus meiner Kindheit vertraut, denn damit waren bei uns Straßen repariert worden. Meine Mutter war eine Anhängerin des alten Aberglaubens, dass Kinder, die Teergeruch einatmen, vor Husten und Erkältungen sicher seien. Sie hat uns immer hingeschickt, wenn irgendwo geteert wurde. Daher kannte ich diesen Geruch recht gut. Neben dem Kessel stand ein alter Hackklotz, der von angetrocknetem Blut schwarz war. Dann hat ein hünenhafter Gefängniswärter mit einer Machete herumgefuchtelt und den ersten Kerl in unserer Reihe angeschrien. Ich hatte keine Ahnung, was er wollte. Mein Nachbar, der etwas Englisch sprach, hat es mir übersetzt. Er hat gesagt, wir hätten die Wahl. Sogar dreimal. Zur Feier unseres Geburtstags würden wir einen Fuß verlieren. Die erste Wahl: links oder rechts. Die zweite Wahl: lange Hose oder kurze Hose. Das war eine Art Witz, der bedeutete, ob das Bein unter oder über dem Knie abgehackt werden würde. Wir konnten’s uns aussuchen. Die dritte Wahl: mit oder ohne Benutzung des Teerkessels. Auch das konnten wir uns aussuchen. Taucht man den Arm- oder Beinstumpf ein, versiegelt der kochende Teer die Arterien und kauterisiert die Wunde. Tut man’s nicht, verblutet man und stirbt. Wir hatten die Wahl. Aber der Wärter sagte, wir
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