Waylander der Graue
Tatsache des Lebens, die er nicht ändern konnte. Doch der Feind hatte den Tod in sein Haus gebracht, und das war ihm nicht egal. Dämonen waren auf seinen Palast losgelassen worden. Omri war ein sanfter, liebenswerter Mann gewesen. Krallen hatten ihm die Brust aufgerissen. Mendyr Syn hatte sein Leben der Pflege anderer gewidmet. Mit seinen letzten Atemzügen hatte er mit ansehen müssen, wie seine Patienten zerfleischt wurden.
Bis jetzt war es nicht Waylanders Krieg gewesen.
Doch jetzt war er es.
Er lehnte den Kopf an den Türrahmen und schloss die Augen. Die Sonne schien ihm warm ins Gesicht. Ein leichter Wind strich über seine Haut. Er war fast eingeschlafen, als er leise Schritte auf den Stufen hörte. Er riss die dunklen Augen auf und zog ein diamantförmiges Messer aus der Scheide.
Keeva erschien mit einem Tablett voll Speisen. Waylander stand auf und blieb in der Tür stehen. »Emrin bat mich, dir etwas zum Frühstück zu bringen«, sagte sie.
Er schwieg einen Augenblick. »Hast du das Tranchiermesser auf das Untier geworfen?«, fragte er.
»Ja. Woher weißt du das?«
»Ich sah es auf dem Fußboden. Wohin hattest du gezielt?«
»Auf das Auge.«
»Hast du getroffen?«
»Ja. Es drang bis zum Griff ein.«
»Ausgezeichnet.« Er betrachtete sie aufmerksam. »Ich möchte, dass du etwas für mich tust«, bat er.
»Selbstverständlich.«
»Ich möchte, dass es in aller Stille geschieht. Niemand darf davon wissen. Keine Seele.«
»Du kannst mir vertrauen, Grauer Mann. Ich schulde dir mein Leben.«
»Geh zum Nordturm in die Räume der Priesterin Ustarte. Niemand darf dich sehen. Hol ein paar von ihren Kleidern und Handschuhen. Vergiss die Handschuhe nicht. Steck alles in einen Sack und bring es her.«
»Sie lebt noch?«
Waylander trat einen Schritt zurück in seine Wohnung und winkte ihr, ihm zu folgen. Keeva blieb in der Tür stehen und blickte auf die schlafende Priesterin. Ein Arm war aus der Decke herausgestreckt, Keeva ging näher und starrte das fellbedeckte Glied mit den scharfen Krallen an, die aus den kurzen, stumpfen Fingern ragten. Sie schrak zurück.
»Gerechter Himmel! Was ist sie?«, flüsterte Keeva.
»Jemand, der schwer verwundet ist«, sagte er leise. »Niemand darf wissen, dass sie den Angriff überlebt hat. Verstanden?«
»Ist sie ein Dämon?«
»Ich weiß nicht genau, was sie ist, Keeva, aber ich glaube, es ist nichts Böses in ihr. Willst du mir in diesem Punkt vertrauen?«
»Ich vertraue dir, Grauer Mann. Wird sie am Leben bleiben?«
»Ich habe keine Ahnung. Die Wunden sind tief, und vielleicht hat sie starke innere Blutungen. Aber ich tue, was ich kann.«
Ustarte schlug die Augen auf. Ihr Blick verschwamm, dann richtete er sich auf die roh behauene Decke über ihr. Ihr Mund war trocken, und sie verspürte Schmerz. Er wuchs von einem dumpfen, pochenden Schmerz zu feurigen Nadeln in ihrer Seite und ihrem Rücken. Sie stöhnte.
Sofort beugte sich eine Gestalt über sie, hob ihren Kopf und hielt ihr einen Becher Wasser an die Lippen. Sie trank zuerst nur spärlich und ließ das kühle Wasser langsam durch die ausgedörrte Kehle rinnen. In ihrem Bauch begann es zu wirbeln, doch sie unterdrückte es. Darf mich jetzt nicht verwandeln, dachte sie mit einem Anflug von Panik. Sie sah in das Gesicht des Grauen Mannes und las instinktiv seine Gedanken. Er machte sich Sorgen um sie.
»Ich werde wohl am Leben bleiben«, flüsterte sie. »Wenn ich nicht … zum Tier werde.« Sie sah in seinem Geist das Bild eines goldenen Wolfes, der auf der Treppe zur Bibliothek starb. Trauer überfiel sie, und Tränen stiegen ihr in die Augen. »Sie sind für mich gestorben«, flüsterte sie.
»Ja«, sagte er. Die Tränen liefen ihr über die Wangen, und sie begann zu schluchzen. Sie spürte seine Hände auf ihren Schultern. »Ganz ruhig, Ustarte! Sonst platzen die Nähte auf. Später ist noch genug Zeit zum Trauern.«
»Sie vertrauten mir«, schluchzte sie. »Ich habe sie verraten.«
»Du hast niemanden verraten. Du hast die Dämonen nicht gerufen.«
»Ich hätte ein Tor öffnen und sie in Sicherheit bringen können.«
»Jetzt machst du mich wütend«, sagte er, doch die Hand, die ihren Kopf streichelte, war noch immer sanft. »Kein lebendes Wesen würde nicht irgendeinen Punkt in der Vergangenheit ändern, wenn es könnte, um Kummer oder eine Tragödie zu vermeiden. Wir machen nun einmal Fehler. Das gehört zum ernsten Spiel des Lebens. Deine Leute folgten dir, weil sie dich liebten und an
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