Waylander der Graue
eine der Wachen sagen. »Dachte schon, ihr hättet uns ganz vergessen.«
»Gren hat sich mit einem blonden Serviermädchen unterhalten. Nettes Ding. Zum Anbeißen.«
»Wo wir gerade vom Anbeißen sprechen, ich hoffe, es gibt noch was zum Frühstück.«
»Was Neues von den Flüchtlingen?«, fragte einer.
»Das will ich meinen. Weil ihr hier festgesessen habt, habt ihr die ganze Aufregung verpasst, Jungs. Ein Suchtrupp wurde von einem wilden Tier angegriffen. Drei Tote, fünf Verwundete.«
»Von unseren Jungs?«
»Nur einer: der alte Pikka. Ihm wurde der Schädel eingeschlagen. Die anderen waren vom Haus Rishell. In der Stadt erzählt man sich, der Herzog und die meisten seiner Leute wären tot. Zauberei«, fügte er mit gesenkter Stimme hinzu.
»Was ist mit dem Herzog passiert?«
»Dämonen, sagt man. Erschienen im Saal. Haben jeden umgebracht. Anscheinend hat der Graue Mann sie gerufen. Shad sagt, wir sollen nicht darüber reden. Graf Aric wird der neue Herzog, wenn sie erst den Leichnam des Herzogssohnes gefunden haben.«
»Der Graue Mann? Das hat man davon, wenn man Ausländer ins Land lässt, die sich aufführen wie Fürsten.«
»Er war immer schon ein komischer Kauz«, sagte eine andere Stimme. »Und letzte Nacht hätte er beinahe Graf Aric getötet. Hat ihm fast die Kehle durchgeschnitten. Nur um Haaresbreite daneben. Shad fragt zurzeit den Haushofmeister aus. Er ist ein zäher Bursche, aber ich schätze, dass wir ihn bald schreien hören. Am besten frühstückt ihr rasch. Ich sage euch, nichts verdirbt einem mehr den Appetit als die Schreie eines Mannes.«
Niallad hörte die beiden ersten Wachen davongehen. Die anderen schwiegen eine Weile. Dann sagte einer. »Schätze, Norda ist Klasse im Bett.«
»Stimmt, Gren. Bis Marja das herausfindet und dir den Pimmel abschneidet.«
»Darüber macht man keine Scherze!«, schimpfte der andere. »Sie würde das wirklich tun, weißt du.«
Niallad wandte sich zu dem Grauen Mann um, doch der war verschwunden.
Der junge Mann schaute sich schockiert um. Er hatte nichts gehört, nicht einmal das Rascheln von Stoff auf Fels. Er blieb ein Weilchen ruhig sitzen und überlegte, was er tun sollte. Dann hörte er ein Stöhnen von oben, gefolgt von einem dumpfen Aufprall. Als er aufsah, sah er den Grauen Mann, der sich über die Felsnase beugte.
»Geh ein Stück nach links und klettere dann zu mir herauf«, sagte er.
Niallad gehorchte und zog sich über den Vorsprung. Die beiden Wachposten waren tot. Der Graue Mann zerrte einen der Toten durch die Tür eines roh gezimmerten Gebäudes. Niallad stand einfach nur da. Nur wenige Augenblicke zuvor hatten sich diese beiden Männer über eine hübsche Frau unterhalten. Jetzt würden sie nie wieder reden. Niallad erkannte, dass der Graue Mann auf die Wachablösung gewartet hatte, damit er sicher sein konnte, dass die Toten nicht so bald entdeckt würden. Der Mann konnte einem Angst einjagen! Niallad hatte immer gedacht, Gaspir wäre einer der härtesten Burschen, die er je gekannt hatte. Aber er war nicht mehr als ein Blatt, vom Baum geweht von der Wut des Grauen Mannes. Jetzt waren noch andere Blätter zu Boden gefallen. Niallad hatte noch immer die Stimmen der Wachposten im Ohr, gewöhnliche Männer, die ganz gewöhnliche Träume hatten.
Der Graue Mann zerrte den zweiten Toten nach drinnen, dann kam er mit einem Eimer Wasser, das er über die Blutflecken am Boden goss. »Komm rein«, sagte er kühl.
Auf bleischweren Beinen trat Niallad über die Schwelle. Die Toten lagen rechts von der Tür. Der Graue Mann schloss sie und führte Niallad in einen lang gestreckten, fensterlosen Raum. Er zündete zwei Laternen an und hängte sie an die Wand. Niallad konnte sehen, dass überall Waffen hingen und einige Zielscheiben herumstanden, runde zum Bogenschießen und andere in Menschengestalt.
»Sie glauben, du wärst für das Massaker verantwortlich«, sagte Niallad.
»Das überrascht mich nicht. Mord und Lügen gehen gewöhnlich Hand in Hand.«
»Ich dachte, du hättest Aric getötet.«
»Ich auch, mein Junge. Der Teppich rutschte mir unter den Füßen weg, als ich mich auf ihn stürzte. Vielleicht werde ich zu alt für dieses Leben.«
Der Graue Mann streifte seine Seidenweste ab, die Beinkleider und Stiefel und warf alles auf eine Bank. Aus einer Kommode holte er ein ledernes Jagdhemd, rehlederne Hosen und kniehohe Mokassins. Er zog sich rasch an, schnallte einen Schwertgürtel um und schlang sich ein Wehrgehänge mit sieben
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