Waylander der Graue
bedroht, dann wäre das verständlich. Du sagtest, der Meister sei derjenige mit der wahren Macht, und er leitet sie durch seinen loa-chai. Wenn der Meister also bedroht war, könnte die Verbindung zu seinem Diener abbrechen und den loa-chai schutzlos lassen. Aber das war es ja nicht, was geschah. Es war Eldicar, der gegen die Dämonen kämpfte.«
Ustarte dachte darüber nach. »Er kann nicht der loa-chai sein«, sagte Ustarte. »Du sagst, der Junge ist etwa acht Jahre alt? Kein Kind könnte die Macht eines Ipsissimus lenken, wie begabt es auch sein mag. Und ich glaube auch nicht, dass jemand dieser Altersstufe solch alles verzehrendes Böse ausstrahlt.«
»Beric ist ein lieber Junge«, sagte Niallad und trat aus der Dunkelheit. »Ich habe ihn sehr gern. In ihm ist nichts Böses.«
»Ich mag ihn auch«, sagte Waylander. »Aber irgendetwas stimmt hier nicht. Eldicar erzählte mir, er hätte die Dämonen nicht in mein Haus gerufen. Ich glaubte ihm. Er sprach von Deresh Karany.«
»Ich kenne diesen Mann«, sagte Ustarte mit kalter Stimme. »Er ist unvorstellbar böse. Aber er ist ein erwachsener Mann. Ich hätte gespürt, wenn mehr als ein Ipsissimus hier wäre.« Sie wandte sich an Niallad. »Du musst mir meine Einmischung verzeihen, aber ich lese deine Gedanken, und ich muss diese Ereignisse durch deine Erinnerung sehen. Denke zurück an die Nacht, in der deine Eltern getötet wurden.«
»Ich will nicht«, sagte Niallad zurückweichend.
»Es tut mir Leid«, sagte Ustarte, »aber es ist wichtig.« Der junge Mann stand ganz still. Er holte tief Luft, und Waylander sah, dass er seine Kräfte sammelte. Dann nickte Niallad Ustarte zu und schloss die Augen.
»Jetzt sehe ich es«, flüsterte Ustarte. »Der Junge ist da. Du siehst ihn. Er steht neben dem Magier.«
»Ja, ich erinnere mich. Worauf willst du hinaus?«
»Denk zurück. Wie kam er dir vor?«
»Er stand einfach da und sah zu.«
»Sah dem Morden zu?«
»Ich denke schon.«
»Sein Gesicht verrät kein Gefühl? Weder Schock noch Überraschung oder Entsetzen?«
»Er ist nur ein Kind«, sagte Niallad. »Wahrscheinlich hat er gar nicht begriffen, was da vor sich ging. Er ist ein wunderbarer Junge.«
Ustarte drehte sich um und sah Keeva und Emrin an. »Ihr alle seid hingerissen von dem Jungen. Selbst Matze Chai konnte, sogar angesichts der Folter, nur Gutes über Beric denken. Das ist nicht natürlich, Grauer Mann«, sagte sie. Sie richtete den Blick wieder auf Niallad. »Denke jetzt an alle Gelegenheiten, bei denen du mit Beric zusammen warst. Ich muss es selbst sehen.«
»So oft war es nicht«, meinte Niallad. »Das erste Mal im Palast des Grauen Mannes. Wir gingen zusammen zum Strand.«
»Was habt ihr dort gemacht?«
»Ich bin geschwommen, Beric saß im Sand.«
»Er ist nicht geschwommen?«
Niallad lächelte. »Nein. Ich habe ihn damit geneckt und ihm angedroht, ihn ins Wasser zu tragen. Ich wollte ihn packen, aber er hielt sich an einem Stein fest, und ich konnte ihn nicht hochheben.«
»Aber ich sehe in deinem Gedächtnis keinen Stein«, sagte Ustarte.
»Da muss aber einer gewesen sein. Ich habe mir fast den Rücken verrenkt beim Versuch, ihn von der Stelle zu bewegen.«
Ustarte nahm Niallads Arm. »Bitte, stell dir sein Gesicht so genau wie möglich vor. Betrachte es ganz genau. Ich muss es sehen! Jede Einzelheit.« Sie blieb ganz still stehen, und Waylander sah, wie sie zusammenzuckte, als hätte sie etwas gestochen. Sie wich vor Niallad zurück, die Augen weit aufgerissen vor Furcht. »Er ist kein Kind«, wisperte sie. »Er ist ein Bastard geworden.«
Waylander trat zu ihr. »Sag schon!«, bat er.
»Dein Verdacht war berechtigt, Grauer Mann. Eldicar Manushan ist der loa-chai. Derjenige, der als Kind erscheint, ist Deresh Karany – der Ipsissimus.«
»Das kann nicht sein«, flüsterte Niallad. »Du irrst dich.«
»Nein, Niallad. Er strahlt einen Charme-Zauber aus. Alle, die in seine Nähe kommen, werden davon getäuscht. Es ist eine hervorragende Tarnung. Wer würde schon ein goldhaariges, schönes Kind verdächtigen?«
Ustarte ging davon, in angstvolle Gedanken versunken. Sie war durch das Tor zwischen den Welten gekommen, um dem Bösen von Deresh Karany zu entkommen. Und jetzt war er hier, und alle ihre Hoffnungen auf einen Sieg schienen plötzlich zerbrechlich, verweht wie Rauch.
Sie hätte wissen müssen, dass er kommen würde. Sie hätte sich denken können, dass er eine andere Gestalt annehmen würde. Deresh Karany war von der
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