Waylander der Graue
tobenden Gefühlen begraben. Also lass mich noch einmal sagen, dass es mir sehr Leid tut, dich verärgert zu haben. Du warst zu mir und meinen Gefolgsleuten sehr freundlich.«
Waylander breitete die Hände aus. »Es ist vergessen«, sagte er.
»Das ist sehr großzügig von dir.«
»Und in welcher Angelegenheit wolltest du mich sprechen?«
Sie wandte den Blick ab. »Das ist nicht leicht für mich«, sagte sie, »denn ich muss dich ein zweites Mal um Vergebung bitten.«
»Ich habe bereits gesagt …«
»Nein, nicht für meine früheren Worte. Durch mein Kommen habe ich dich in eine gewisse … Gefahr gebracht. Meine Anhänger und ich werden verfolgt. Es ist möglich, wenn ich auch hoffe, unwahrscheinlich, dass man uns finden wird. Ich fühlte mich verpflichtet, dich darüber zu informieren und dir anzubieten – ganz aufrichtig –, sofort abzureisen, wenn du es wünschst.«
»Hast du ein Gesetz in Kiatze gebrochen?«, fragte er.
»Nein, wir sind keine Gesetzesbrecher. Wir sind auf der Suche nach Wissen.«
»Wer verfolgt euch dann und warum?«
Jetzt begegnete ihr Blick dem seinen. »Hab Geduld mit mir, Grauer Mann, während ich dir erkläre, warum ich es dir nicht sagen kann. Wie ich bereits sagte, deine Gedanken und Erinnerungen sind mir bekannt. Sie lodern aus dir heraus wie die Strahlen der Sonne, und genauso strahlen sie über das Land. Alle menschlichen Gedanken tun das. Die Welt ist von ihnen überschwemmt. Weit entfernt von diesem Palast gibt es Wesen, die auf solche Gedanken eingestimmt sind, auf der Suche nach einem Widerhall, der sie zu mir führt. Wenn ich dir die Namen derer sagte, die mich verfolgen, dann wären sie Teil deiner Gedanken. Und nur dadurch, dass du sie denkst, könntest du jene aufmerksam machen, die mich töten wollen.«
Waylander schüttelte den Kopf und lächelte. »Da ich von den Angelegenheiten von Zauberern nichts verstehe, lass uns weitermachen«, sagte er. »Warum kamst du her?«
»Einerseits, weil du hier bist«, sagte sie schlicht, dann schwieg sie.
»Und andererseits?«
»Das ist noch komplizierter.«
Waylander lachte. »Noch komplizierter als magische Feinde, die über große Entfernungen Gedanken lesen können? Es ist ein herrlicher Morgen mit frischem Wind und blauem Himmel. Ich komme gerade von einem erfrischenden Bad. Mein Kopf ist klar. Sprich weiter.«
»Dies ist nicht die einzige Welt, Grauer Mann.«
»Ich weiß. Es gibt viele Länder.«
»Das meinte ich nicht. Wir wohnen zu diesem Zeitpunkt in Kydor. Aber es gibt noch andere Kydors, eine unendliche Zahl von ihnen. Genauso wie es eine unendliche Zahl von Drenai-Welten gibt. Viele haben eine identische Geschichte, und viele unterscheiden sich. In manchen tötete der Attentäter Waylander den König der Drenai, und das Land wurde von vagrischen Truppen überrollt. In anderen tötete er den König, und die Drenai waren siegreich. In einigen tötete er den König nicht, und es gab keinen Krieg. Kannst du mir folgen?«
Waylanders gute Laune verebbte. »Ich ermordete den König. Für Geld. Das war unverzeihlich. Aber es geschah. Ich kann es nicht ändern. Niemand kann es ändern.«
»Es geschah hier«, sagte sie leise. »Aber es gibt andere Welten. Unendlich viele. Irgendwo, in diesem Augenblick, in der Weite des Raumes sitzt eine andere Frau mit einem großen Mann zusammen. Die Szene ist genau wie diese hier, nur trägt die Frau vielleicht ein blaues Kleid und kein goldenes. Der Mann hat vielleicht einen Bart und trägt andere Kleidung. Aber sie ist trotzdem ich, und er ist du. Und das Land, in dem sie leben, heißt Kydor.«
Waylander holte tief Luft. »Er ist nicht ich. Ich bin ich.«
»Ich bin sicher, dass er genau dasselbe sagt.«
»Und er hat Recht«, sagte Waylander. »Vielleicht fragt er auch nach dem Sinn dieses Gesprächs. Was spielt es schon für eine Rolle, ob es zwei oder zweihundert Waylanders gibt, wenn sie sich nie begegnen oder aufeinander einwirken können?«
»Eine gute Frage. Ich habe einige dieser Welten gesehen. In allen, gleich wie es ausgeht, hat der Mann, der als Waylander bekannt ist, eine Rolle zu spielen.«
»Nicht in dieser Welt, meine Dame. Nicht mehr.«
»Wir werden sehen. Möchtest du, dass wir abreisen?«
»Ich werde darüber nachdenken«, antwortete er und erhob sich.
»Das ist sehr nett von dir. Noch eine Kleinigkeit …«
»Ja?«
»Du hast Keeva nicht gefragt, wie sie die Tauben getötet hat, die sie für dich gebacken hat.«
»Nein.« Er lächelte schief. »Ich
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