Waylander der Graue
beiden Bronzeauslösern. Wie sie beim Schießen der Tauben gelernt hatte, war die Waffe etwas vorderlastig, und wenn die Auslöser betätigt wanden, kippte sie leicht vornüber. Sie kalkulierte das ein und schoss beide Bolzen ab. Beide schlugen in das kleine rote Zentrum der Zielscheibe. Der Graue sagte nichts. Er nahm ihr die Waffe ab, ging zu der Zielscheibe und holte die Bolzen heraus. Er legte die Armbrust wieder auf die Bank und nahm zwei Wurfmesser. Sie waren rautenförmig und etwa elf Zentimeter lang. Sie hatten keine Griffe, aber Vertiefungen, die in das Metall geschnitten waren, um einen besseren Halt zu geben.
»Sei vorsichtig damit«, sagte er und reichte ihr eine Klinge. »Sie ist sehr scharf.« Sie nahm sie zimperlich. Das Messer war schwerer, als es aussah. »Es geht nicht nur um Richtung und Schnelligkeit«, erklärte er, »sondern um Drehung. Das Messer muss mit der Spitze voran ins Ziel treffen.« Er deutete auf eine Strohpuppe. »Nimm die.«
»Wohin?«
»In die Kehle.«
Ihre Hand schoss hoch, der Arm zuckte vorwärts. Die Klinge traf den Halsbereich mit dem stumpfen Ende zuerst und prallte dann ab. »Ich verstehe, was du meinst«, sagte sie. »Kann ich das andere haben?« Er reichte es ihr. Diesmal traf das Messer den Strohmann am Kinn. »Verdammt!«, schimpfte sie.
»Nicht übel«, sagte er. »Du hast ein gutes Auge und eine hervorragende Koordination. Das ist selten.«
»Bei einer Frau, meinst du?«
»Überhaupt.« Er ging zu der Strohpuppe, zog das Messer heraus, hob das andere vom Boden auf und kehrte zu ihr zurück. »Dreh dich mit dem Rücken zur Puppe«, befahl er. Keeva gehorchte. Der Graue Mann reichte ihr ein Messer. »Auf meinen Befehl drehst du dich schnell um und wirfst; ziel dabei auf die Brust.«
Er trat einen Schritt zurück. »Jetzt«, sagte er leise.
Keeva wirbelte herum, die Klinge sauste durch die Luft, prallte von der Schulter der Strohpuppe ab und klirrte gegen die Wand. Funken sprühten von den Steinen.
»Noch mal«, sagte er und hielt ihr das zweite Messer hin. Dieses Mal traf es richtig, zwar wieder in die Schulter, aber näher zur Brust hin.
»Warum machen wir das?«, fragte sie.
»Weil wir können«, antwortete er mit einem Lächeln. »Du bist sehr begabt. Mit ein wenig Übung könntest du herausragend werden.«
»Falls ich mein Leben damit verbringen wollte, Messer zu werfen«, bemerkte sie.
»Du sagtest, du hättest kein Handwerk gelernt, wärest aber bereit zu lernen. Gute Schützen können sich ihren Lebensunterhalt auf Jahrmärkten und an Feiertagen problemlos verdienen. Unter hundert Männern hätte keiner mit vier Schüssen drei Tauben erlegt, und das mit einer fremden Waffe. Keiner unter tausend hätte das ohne jede Übung geschafft. Kurz gesagt: Wie ich bist auch du eine Laune der Natur. Geist und Körper in Einklang. Das Abschätzen der Entfernung, das Ausbalancieren von Gewicht, die Kraft des Wurfes – all das erfordert ein genaues Urteil. Manche brauchen ein Leben lang, um das zu erwerben. Andere können es in kürzester Zeit lernen.«
»Aber ich habe die Brust verfehlt. Zwei Mal.«
»Versuch es noch mal«, sagte er und hob das Messer auf.
Sie wirbelte herum, und das Messer bohrte sich in sein Ziel.
»Direkt ins Herz«, sagte er. »Glaube mir. Mit etwas Übung könntest du zu den Besten zählen.«
»Ich glaube nicht, dass ich den Umgang mit Waffen lernen möchte«, sagte sie. »Ich verabscheue Krieger: ihr Herumstolzieren, ihre Arroganz und ihre endlosen Grausamkeiten.«
Der Graue Mann zog die Messer aus der Strohpuppe, legte sie auf den Tisch und begann sie mit einem weichen Tuch zu polieren. Er steckte sie in Scheiden aus schwarzem Leder und wandte sich wieder an Keeva. »Ich war einmal ein Bauer. Ich lebte mit einer Frau, die ich vergötterte. Wir hatten drei Kinder: einen Jungen von sieben und zwei Babys. Eines Tages, als ich auf der Jagd war, kam eine Gruppe von Männern auf meinen Hof. Neunzehn Männer. Söldner, die zwischen zwei Kriegen nach einer Beschäftigung suchten.« Er schwieg einen Augenblick. »Ich spreche nur selten darüber, Keeva. Aber heute ist die Erinnerung ganz frisch.« Er holte tief Luft. »Die Männer banden meine Tanya an ein Bett, dann – nach einer kleinen Weile – töteten sie sie. Sie brachten auch meine Kinder um. Dann verschwanden sie.
Wenn ich an diesen Morgen denke, als ich losritt, dann höre ich immer Lachen. Meine Frau und mein Sohn spielten Haschen auf der Wiese, meine Babys schliefen in ihren
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