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Waylander der Graue

Waylander der Graue

Titel: Waylander der Graue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gemmell
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langsam – begann er im Geiste das Mantra des Rajnee zu rezitieren. Dreizehn Wörter, aneinander gefügt wie ein Kinderreim:
     
    Meer und Sterne,
    beides bin ich,
    die Flügel gebrochen,
    und doch fliege ich.
     
    Mit jedem wiederholten Vers wurde Kysumu ruhiger, sein Geist dehnte sich aus, er fühlte das Blut durch seine Adern strömen und die Spannung von seinem Körper abfallen. Täglich eine Stunde dieser Übung, und Kysumu brauchte nur noch wenig Schlaf.
    Doch heute störte etwas seine Trance. Es war nicht der schlafende Yu Yu oder die zunehmende Kälte. Kysumu war abgehärtet und ertrug sowohl extreme Hitze als auch Kälte. Er versuchte, die Trance zu halten, doch sie flaute ab. Er wurde des Schwertes in seinem Schoß gewahr. Es schien unter seinen Fingern leicht zu vibrieren.
    Kysumu schlug mit einem Ruck die dunklen Augen auf. Er sah sich um. Die Nacht war sehr kalt geworden, und Nebel sickerte zwischen den Bäumen hindurch. Eins der Pferde wieherte vor Angst. Kysumu holte tief Luft, dann warf er einen Blick auf sein Schwert. Der ovale bronzene Faustschutz glühte. Der Rajnee legte seine schmale Hand über den lederumwickelten Griff und zog das Schwert aus der schwarz lackierten Scheide. Die Klinge schimmerte in einem so intensiven, blauen Licht, dass es den Augen wehtat. Der Schwertkämpfer sprang auf und sah, dass Yu Yu Liangs gestohlenes Schwert ebenfalls leuchtete.
    Plötzlich schrie einer der Wachposten. Kysumu warf seine Scheide beiseite und rannte durch das Lager, um die Rückseite der Proviantwagen herum. Dort war niemand, doch der Nebel stieg jetzt höher, und Kysumu hörte ein knirschendes Geräusch daraus. Er kauerte sich hin und untersuchte den Boden. Etwas Nasses berührte seine Finger. Im hellen Licht seines Schwertes sah er, dass es Blut war.
    »Aufwachen!«, schrie er. »Aufwachen!«
    Etwas bewegte sich jenseits des Nebels. Kysumu erhaschte einen kurzen Blick auf eine gewaltige weiße Gestalt. Dann verschwand sie. Der Nebel waberte über seine Beine. Eisige Kälte berührte seine Haut. Instinktiv machte Kysumu einen Satz nach hinten. Sein Schwert sauste herab. Als es den Nebel berührte, zuckte ein blauer Blitz knisternd und zischend durch die Luft. Ganz nah grollte ein tiefes, wütendes Knurren. Wieder sprühten blaue Blitze Funken, und über dem Lager dröhnte Donner.
    Ein anderer Wachposten links von ihm schrie auf. Kysumu blickte über die Schulter zurück und sah Yu Yu Liang, der wild auf den Nebel einhieb, aus seinem Schwert zuckten Blitze. Der Wachposten lag am Boden, dicht am Waldrand. Etwas Weißes war um seinen Fuß geschlungen und zerrte ihn aus dem Lager. Kysumu hechtete über die Lichtung. Der Wachposten schrie aus Leibeskräften. Als Kysumu bei ihm ankam, sah er etwas, das wie der Schwanz eines großen weißen Wurms aussah, der sich um den Knöchel des Mannes gewickelt hatte. Er hieb darauf ein und schnitt tief in das weiße Fleisch. Yu Yu Liang tauchte an seiner Seite auf. Mit einem hohen Schrei rammte er sein Schwert in den Wurm. Dieser ließ den Wachmann los, der in die relative Sicherheit des Lagers zurückkrabbelte. Der Wurm glitt zurück in den Nebel.
    Yu Yu stieß einen Schlachtruf aus und wollte ihm nachsetzen. Kysumus linke Hand schoss vor, packte Yu Yu am Kragen seines Wolfsfellwamses und riss ihn zurück. Yu Yus Beine zappelten in der Luft, und er stürzte schwer zu Boden.
    »Bleib bei mir«, sagte Kysumu ruhig.
    »Du hättest mich ja einfach bitten können!«, brummte Yu Yu und rieb sich die geprellte Kehrseite.
    Kysumu ging zurück bis zur Mitte des Lagers. Dort hatten sich alle Wachposten und Sänftenträger versammelt, blickten furchtsam auf den Nebel und lauschten in stillem Entsetzen den seltsamen, klickenden und tappenden Geräuschen, die außerhalb ihrer Sichtweite ertönten.
    Der Nebel wirbelte auf, und Kysumu stieß sein Schwert hinein. Wieder zuckten blaue Blitze auf, und im Nebel erscholl gespenstisches Schmerzensgeheul. Yu Yu erschien an seiner Seite.
    »Was ist das?«, fragte Yu Yu und schwang sein Schwert.
    Kysumu beachtete ihn nicht. Zwei der Pferde wieherten schrill und gingen zu Boden. »Bleib hier! Halt den Nebel zurück«, sagte Kysumu, machte kehrt und rannte über die Lichtung. Der Nebel teilte sich vor ihm. Etwas bewegte sich links von ihm. Kysumu warf sich nach rechts, rollte sich ab und kam in einer einzigen geschmeidigen Bewegung wieder auf die Füße. Ein langer, krallenbewehrter Arm fuhr auf sein Gesicht zu. Kysumu wich aus und stieß sein

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