Waylander der Graue
Boden liegende Kleidungsstück.
»Wieso seltsam?«, fragte Aric. »Er wollte doch ins Bett.«
»Um zu sterben«, sagte der Magier. »Nicht um zu schlafen. Das bedeutet, er wusste, dass man seinen Leichnam finden würde. Seien wir doch ehrlich, meine Herren, Vanis war nicht gerade ein gut aussehender Mann. Kahl, schauerlich fett und hässlich wäre eine passende Beschreibung. Trotzdem zieht er sich aus, setzt sich auf weiße Seidenlaken und achtet darauf, dass man ihn in der abstoßendsten Haltung finden wird. Man sollte denken, er hätte seine Kleider anbehalten. Ein weiterer Gedanke betrifft die Wunde selbst. Sehr viel Blut und Schmerz. Es braucht großen Mut, sich die Kehle durchzuschneiden. Genauso wirkungsvoll ist es, die Arterien am Handgelenk zu öffnen.«
»Ja, ja, ja«, sagte der Arzt. »Das ist ja alles ganz interessant. Aber was wir hier haben, ist ein toter Mann in einem verschlossenen Schlafzimmer, das Werkzeug seines Hinscheidens noch in der Hand. Wir werden nie wissen, was kurz vor seinem Tod in seinem Kopf vor sich ging. Wie ich hörte, wurden seine geliebten Neffen erst vor wenigen Tagen getötet. Sein Verstand war offenbar vor Kummer aus den Fugen geraten.«
Eldicar Manushan lachte. Es war ein grausiger Kontrast zu der blutigen Szene. »Aus den Fugen? Also wirklich, das muss er schon gewesen sein, denn er hatte so viel Angst davor, umgebracht zu werden, dass er sein Haus mit Leibwächtern und Wachhunden umgab. Und dann, als er in Sicherheit war, schnitt er sich die Kehle durch. Ich würde auch sagen, das klingt nach aus den Fugen geraten.«
»Du glaubst, er wurde ermordet?«, fragte der junge Arzt eisig.
Der Magier ging zum Fenster und blickte vom Balkon hinunter. Dann drehte er sich um. »Falls er ermordet wurde junger Mann, dann von einem Mann, der sich vollkommen lautlos durch eine Abschirmung von Wachposten und scharfen Hunden hindurchbewegen, eine Mauer erklettern, die Tat begehen und weder verschwinden konnte, ohne dass ihn jemand sah oder witterte.«
»Genau«, sagte der Arzt und wandte sich an Graf Aric. »Ich schicke nach dem Leichenwagen, Graf, und schreibe meinen Bericht.«
Damit verbeugte sich der junge Mann vor Aric, nickte Eldicar Manushan zu und ging. Aric betrachtete den grotesk aufgedunsenen Körper auf dem Bett, dann wandte er sich an die beiden Wachoffiziere. »Geht und befragt die Diener und Leibwächter. Versucht herauszubekommen, ob irgendjemand etwas gehört oder gesehen hat, egal, wie unwichtig es zum damaligen Zeitpunkt schien.«
Die Männer salutierten und verließen das Zimmer. Eldicar Manushan schloss die Schlafzimmertür. »Möchtest du gern wissen, was wirklich passiert ist?«, fragte er leise.
»Er hat sich umgebracht«, flüsterte Aric. »Niemand hätte zu ihm gelangen können.«
»Wir wollen ihn fragen.«
Eldicar trat ans Bett und legte seine Hand auf die Stirn des toten Kaufmanns. »Höre mich an«, flüsterte der Magier. »Kehre aus der Leere zurück und ströme noch einmal in diese zerstörte Hülle. Komm zurück in die Welt des Schmerzes. Komm zurück in die Welt des Lichts.«
Der aufgedunsene Körper zuckte plötzlich, und der Kehle entrang sich ein erstickter, gurgelnder Laut. Der Körper begann heftig zu zittern. Eldicar stieß dem Mann seine Finger in den Mund und zog eine zusammengeknüllte Pergamentkugel hervor. Zischend strömte Luft in die Lungen des Toten, und die Reste seines Blutes quollen aus der Wunde in seiner Kehle.
»Sprich, Vanis«, befahl Eldicar Manushan.
»Grau … mann …«, krächzte der Tote. Der Körper sackte zurück, Arme und Beine zuckten. Eldicar Manushan klatschte zweimal in die Hände. »Zurück in die Hölle«, sagte er kalt. Die Bewegungen hörten auf.
Der Magier blickte in das aschgraue Gesicht Graf Arics, dann nahm er die Pergamentkugel, die er dem Kaufmann aus dem Mund gezogen hatte. Er stricht sie auf dem Nachttisch glatt.
»Was ist das?«, flüsterte Aric, zog ein parfümiertes Taschentuch aus der Tasche und hielt es sich unter die Nase.
»Anscheinend der Vertrag für die Schulden, die der Graue Mann erlassen hat. Er enthält alle Versprechungen von Vanis bezüglich der Rückzahlung.« Eldicar lachte wieder. »Man könnte sagen, dass Vanis gezwungen wurde, seine eigenen Worte zu schlucken, ehe er verschied.«
»Ich lasse ihn festnehmen!«
»Sei kein Narr. Ich sagte doch, das Spiel sei noch nicht vorbei. Welchen Beweis hast du gegen ihn? Willst du erklären, dass der tote Mann zu dir sprach? Das will ich
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