Weatherly , L.A. - Dämonen des Lichts
der Engel bei seiner Rückkehr oft wirkte. Und dann die Gläubigen, die in der Kirche wohnten: wie alltäglich es war, sie lächelnd ins Leere starren zu sehen. Jonah wusste, dass sie bei diesen Gelegenheiten mit den Engeln kommunizierten, und vor diesem vagen Unbehagen, das ihn nun umtrieb, hatte er das nie hinterfragt. Aber es passierte ziemlich oft. Und für gewöhnlich wirkten die Gläubigen danach so müde.
Einmal kam Jonah in einem Flur an einer Frau vorbei, die in die Luft guckte. Er sprach sie an und erhielt keine Antwort. Als er ihre leuchtenden, leeren Augen sah, blieb er kurz stehen. Aber weil er sich verlegen und unbehaglich fühlte, setzte er seinen Weg fort. Als er sich noch einmal umdrehte, war sie mit blassem Gesicht an der Wand zusammengesackt.
Jonah zögerte unschlüssig. Schließlich ging er zurück. Der dicke Teppich verschluckte das Geräusch seiner Schritte fast vollständig. »Ist mit Ihnen alles in Ordnung?«, fragte er.
Die Augen der Gläubigen öffneten sich. Ihr Gesicht leuchtete freudig. »Oh ja! Gerade war einer der Engel bei mir. Lob sei den Engeln!«
»Lob sei den Engeln«, echote Jonah.
Aber als die Frau den Flur hinunterging, taumelte sie. Er sah, dass sie die Hand ausstreckte, um an der Wand Halt zu suchen. Sie sah so erschöpft aus. So schwach.
Wie eigentlich viele der Gläubigen.
Warum war ihm das vorher noch nie aufgefallen? Es kam ihm unglaublich vor, so als betrachte er das Leben in der Kathedrale jetzt mit völlig anderen Augen. Tausende von Gläubigen lebten in den nahe gelegenen Unterkünften. Sie kümmerten sich hier, im Zentrum der Church of Angels, um sämtliche Belange der Kirche, vom Putzen über das Kochen bis hin zu den Büroarbeiten. Sie hatten ein Fitnesscenter, ein Kino, einen Friseur … aber am allerliebsten fanden sie sich anscheinend in ihrer Arztpraxis ein. Während er an seinem Bildschirm ein paar Personalakten studierte, lief es Jonah kalt den Rücken herunter. Nicht ein einziger Bewohner schien gesund zu sein.
Doch das war bestimmt nur ein Zufall. Oder wenn schon kein Zufall, dann vielleicht mehr eine Frage von Ursache und Wirkung: Was wäre natürlicher, als sich den Engeln zuzuwenden, wenn man gesundheitliche Probleme hatte? Na sicher, so musste es sein: Vielen Gläubigen ging es nicht gut, deshalb brauchten, sie die Engel. Dankbar klammerte Jonah sich an diese Theorie, doch seine Erleichterung war nur von kurzer Dauer. Weitere Nachforschungen in den Personalakten ergaben, dass zahlreiche Gläubige bei ihrer Ankunft allem Anschein nach gesund und munter gewesen waren.
Was sich änderte, nachdem sie eine Zeit lang in der Kathedrale gelebt hatten.
Jonah rief die Church of Angels-Homepage auf und betrachtete das Foto des Halbengels Willow mit ihren langen blonden Haaren und dem Elfengesicht. Und zum allerersten Mal fragte er sich, was für eine Gefahr genau sie eigentlich für die Engel darstellen sollte.
Es war inzwischen später Nachmittag. Raziel war in seinem Wohnquartier verschwunden, Jonah war allein in seinem Büro. Er saß da und sah auf das Telefon. Nur ein Anruf und seine schrecklichen Zweifel wären mit Sicherheit beseitigt. Ganz plötzlich spürte er, dass er alles geben würde, um in die Zeit zurückzukehren, in der er noch unbeschwert und sorglos gewesen war.
Er blätterte durch sein Filofax, fand die Nummer, die er brauchte, und wählte. In New York war es bereits so spät, dass vermutlich niemand mehr im Büro war. Aber er wusste, dass in den Gemeinschaftsunterkünften jemand ans Telefon gehen würde.
»Hallo, Church of Angels, Schenectady«, sagte eine Männerstimme.
Jonah setzte sich auf. »Hi, hier ist Jonah Fisk, aus dem Hauptbüro in Denver. Könnte ich bitte Beth Hartley sprechen?«
»Beth? Ich glaube, die hat noch Putzdienst.«
»Wären Sie so freundlich, sie zu holen? Es ist wichtig.«
Angespannt saß Jonah auf seinem Stuhl, während er wartete. Sein Büro war sehr ruhig, sehr still. Ihm gegenüber hing das gedämpft beleuchtete kleine Gemälde des Engels. Er betrachtete die geschmeidigen Konturen der Flügel und sein sanftmütiges, liebevolles Gesicht. Seine Schönheit wirkte wie ein Hohn auf sein Misstrauen und erfüllte ihn mit Schuldgefühlen.
Schließlich meldete sich eine Mädchenstimme. »Hallo?«
Jonah erklärte, wer er war. »Entschuldigen Sie die Störung«, sagte er. »Ich, äh … muss mit Ihnen über Willow Fields sprechen.«
Beth klang vorsichtig. »Was ist mit ihr?«
Jonah räusperte sich. »Na ja
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