Weber, David - Honor Harrington - Sturm der Schatten
für wert befand … und die Reporter hatten schon längst gelernt, ihn mit angemessen bewundernden Mienen zu umschwärmen. Das war der Grund, aus dem man ihn normalerweise von jedem Geheimnis, das wirklich wichtig war, so fernhielt wie nur möglich.
Leider war er der Sohn von Victor Chalion. Victor Chalion kontrollierte ungefähr zwanzig Prozent der Delegierten im Oberhaus des Systemparlaments, und das war der Hauptgrund, aus dem man Armand Chalion zum stellvertretenden Kriegsminister machen musste.
Manchmal, überlegte Vezien, frage ich mich, ob es nicht leichter wäre – auf jeden Fall aber weniger anstrengend – einfach den Pöbel übernehmen zu lassen, als durch diesen bodenlosen See aus Cousins, Schwägern, Familien, Freunden und Bekannten zu waten. Sollen die Proleten doch den Teich auspumpen und die Fische erschießen, die sich im Schlamm hin- und herwerfen. So wäre es doch wenigstens ein bisschen effizienter, oder nicht?
»Wenn es sein muss, spreche ich mit Victor darüber«, sagte er. »Ich möchte es nicht, aber wenigstens ist er intelligent genug zu begreifen, weshalb wir über diese Angelegenheit vollkommenes Stillschweigen bewahren müssen. Und wenn er sich auf Armand draufsetzen muss, damit der die Klappe hält, wird er es tun. Beschwören wir aber nicht mehr Ärger herauf als unbedingt notwendig. Hoffen wir fürs Erste, dass dies ein Brandherd ist, den wir nicht löschen müssen.«
»Ja, hoffen wir es«, stimmte Dusserre ein wenig missmutig zu.
»Wie auch immer, ich rede morgen mit Guédon. Genau wie Sie wüsste ich nicht, wie Nicholas es hätte einrichten sollen, ohne die Chefin des Admiralstabs einzubeziehen. Wenn sich herausstellen sollte, dass sie nicht direkt die Hände im Spiel hat, wende ich mich wieder an Sie, und wir müssen uns überlegen, wie wir reorganisieren. Wenigstens scheint das Timing nicht so kritisch zu sein. Wir können in beide Richtungen um ein paar Tage abweichen, ohne Ms. Anisimovna zu verärgern.«
»O ja«, entgegnete Dusserre, und diesmal klang er sauer genug, um Milch gerinnen zu lassen, »machen wir auf keinen Fall Ms. Anisimovna ärgerlich.«
Captain Gabrielle Seguin tat ihr Bestes, um vollkommen ruhig und selbstsicher zu erscheinen, als sie sich die Uniformmütze unter den linken Arm klemmte und dem jungen Lieutenant in das Büro der Chefin des Admiralstabs folgte.
Dass es überhaupt keine Vorwarnung für diese Konferenz gegeben hatte, bis der Befehl, sich bei Admiral Guédon zu melden, vor annähernd dreiundfünfzig Standardminuten eintraf, trug nicht gerade zu Seguins Zuversicht bei. Zugegeben, der Leichte Kreuzer Camille gehörte zu den kampfstärksten und modernsten Einheiten der Navy New Tuscanys, und wenn Seguins Zeit als Kommandantin dieses Schiffes endete, erwartete sie wahrscheinlich der Stern des Konteradmirals. Keineswegs sei sie irgendein junger Lieutenant, der ins Arbeitszimmer seines Kommandanten gerufen werde, um dort eine Zigarre zu bekommen, versicherte sie sich.
Nein, erwiderte eine hartnäckige Stimme in ihr, es könnte durchaus schlimmer werden, und das weißt du genau.
Dieser fröhliche Gedanke trug sie durch die Tür und das Begrüßungsritual mit Händeschütteln. Dann verschwand der Lieutenant, und Seguin war mit Guédon allein.
Guédon war eine ältere Frau, eine Prolong-Empfängerin erster Generation, deren einstmals dunkles Haar stahlgrau geworden war und deren Gesicht tiefe Falten furchten. Nach wie vor war sie jedoch eine hochgewachsene, beeindruckende Gestalt, die sich körperlich in ausgezeichnetem Zustand hielt, und die steifen Ringe aus Goldlitze an ihren Uniformärmeln reichten von den Aufschlägen bis fast zu den Ellbogen.
»Setzten Sie sich, Captain.« In Guédons Stimme klang ein rauer Unterton mit, ein leichtes Krächzen, das nicht unangenehm war, aber sehr gebieterisch wirkte. Seguin hatte sich schon immer gefragt, ob diese Reibeisenstimme natürlich war oder ob Guédon sie sorgsam kultivierte.
»Danke, Ma’am.« Seguin gehorchte dem Befehl, und Guédon kam um den Schreibtisch herum und stellte sich vor sie. Sie verschränkte die goldlitzengeschmückten Arme vor der Brust und lehnte sich an die Schreibtischkante.
»Mir ist klar, dass Sie nicht im Entferntesten ahnen können, warum ich Sie sprechen möchte, Captain«, begann Guédon. Mit ihrer gewohnten Direktheit kam sie sofort zum Thema. »Nun, ich will es Ihnen erklären. Und wenn ich fertig bin, kehren Sie in Ihr Schiff zurück, und Ihr Schiff begibt sich
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