Weber David - Schwerter des Zorns - 2
Reiters
schlug. Wohin die Hradani auch sahen, überall wimmelte es vor
Menschen.
Erst nach einigen Sekunden erkannten sie, dass es in Wahrheit viel
weniger waren, als sie auf den ersten Blick angenommen hatten.
Vielleicht hatte ihnen die Überraschung, nach einer so langen Zeit in
der Wildnis wieder lebendige Wesen zu sehen, den Eindruck aufge
drängt, dass diese Höhle förmlich vor Einwohnern barst. Doch das
bezweifelte Bahzell. Er vermutete eine weit einfachere Antwort.
Brandark und er wussten, dass diese geschäftige Höhle unter zahllo
sen Tonnen von solidem Felsen lag und staunten, weil die Bewohner
das gar nicht zu kümmern schien. Oder sogar – noch kühner –, dass
es den Bewohnern sogar gefiel, dieses ungeheure Masse an Gewicht
wie einen Schutzschild über sich zu wissen.
Ein Dutzend Kinder, Mischlinge aus Zwergen und Menschen,
rannten an ihnen vorbei und kreischten vor Lachen, während sie mit
einem großen, runden Ball spielten. Straßenverkäufer ermunterten
an ihren Buden unter »freiem Himmel« die Neuankömmlinge, ihre
Waren auszuprobieren. Fünf oder sechs Zwerge und ebenso viele
Menschen hievten knurrend und keuchend Kisten von einem Last
karren mit großen Rädern auf die Laderampen. Sie hielten inne und
sahen den Reisenden kurz nach, bevor sie sich erneut ihrer Arbeit
widmeten. Sie wuchteten die schweren Kisten auf niedrige Wägel
chen, die von anderen Arbeitern in die Gänge der Lagerhäuser ge
schoben wurden. Überall hingen Laternen, die die Szenerie hell er
leuchteten, und ein Meer aus fröhlichem Gemurmel von Gesprächen
brandete an ihre Ohren, das Hämmern der Schmiede, die rhythmi
schen Gesänge der Lagerarbeiter, die Mundharmonikamusik aus
den Schänken und das Feilschen der Käufer – um Kartoffeln, Knob
lauch und Äpfel – an den Buden der Lebensmittelhändler.
Nichts hätte den dunklen, unterirdischen Behausungen von Zwer
gen weniger entsprechen können, die Bahzell sich vorgestellt hatte.
Plötzlich lächelte er über seine Naivität. Er kannte doch Kilthandah
knarthas und war sogar mehrere Wochen als sein persönlicher Leib
wächter mit dem Zwerg gereist. Schon die Vorstellung, wie sich Kil
thans derbe, laute »Fröhlichkeit« an einem dunklen, unterirdischen
Ort ausmachen würde, war lächerlich.
Sie nahmen für die Nacht Quartier in der Schänke Zum Steinernen
Zwerg , dessen Wirt sich schlichtweg geweigert hatte, von Kaeritha
und Bahzell Geld für die Übernachtung zu nehmen. Von Wencit
wollte er auch nichts. Allerdings vermutete Bahzell, dass ihn die
Preise, die er dem Rest der Reisegruppe abverlangte, für seine Groß
zügigkeit den Paladinen und dem Zauberer gegenüber mehr als ent
schädigte. Allerdings störte dies den Pferdedieb nicht besonders.
Der Orden des Tomanâk bezahlte seine Reise, und die vielen eisigen
Nächte, die sie seit Sharnâs fehlgeschlagenem Hinterhalt im Freien
verbracht hatten, hatten seine Reisekasse gut geschont. Es schien nur
gerecht, das Konto ein wenig auszugleichen.
Trotzdem fühlten sich Brandark und er noch frisch und munter,
weil diese Tagesetappe so unangestrengt verlaufen war, und mach
ten sich in Begleitung von Kaeritha und Vaijon daran, die Höhle zu
erkunden. Kaeritha war schon einmal hier gewesen und übernahm
die Rolle einer Fremdenführerin. Für Vaijon jedoch war das alles
ebenso neu wie für die beiden Hradani und er schaute sich mit un
verhüllter Neugier um.
Zuerst erwiderten die Einwohner der Ortschaft, die sie Stollenen
de genannt hatten, die Blicke der beiden Hradani ebenso neugierig
und mit der unterschwelligen Nervosität, an die Bahzell mittlerwei
le bereits hinlänglich gewöhnt war. Brandark wäre ihrer Aufmerk
samkeit vielleicht entgangen, wären da nicht seine Ohren gewesen,
aber einen Bahzell Bahnakson konnte niemand mit einem Menschen
verwechseln. Und übersehen konnte man ihn auch nicht. Er hatte
seinen Poncho abgelegt und trug jetzt nur seine Tunika. Sein Breit
schwert und die Arbalest hatte er im Steinernen Zwerg gelassen, doch
mehr als ein Mensch warf ihm einen scheelen Blick zu, und er
schnaubte verbittert, wenn Mütter ihre Kinder hastig aus seinem
Weg zerrten.
»Glaubst du, sie spekulieren, ob ich ihre Gören roh hinunterschlin
ge oder mir überlege, sie zuerst schön gar zu kochen?« fragte er Kae
ritha. Sie blickte verblüfft auf, weil sich Belustigung, Verbitterung
und Resignation in seinen Tonfall mischten.
»Einige befürchten sicher das Schlimmste von Hradani«, antworte
te sie nach einer Weile.
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