Weber David - Schwerter des Zorns - 2
Hradanivorfahren. Zudem erben sie die Verbindung
der Hradani zum Magischen Feld, und in vielen von ihnen findet
sich auch der ›Keil‹, der die Menschen von allen anderen Rassen un
terscheidet.«
»Und der wäre?« fragte Brandark.
»Zauberei, Brandark«, sagte Wencit leise. »Seit den Tagen von Ot
tovar dem Großen hat es keinen einzigen Zwergen-, Elfen- oder
Hradani-Zauberer gegeben. Jeder Einzelne unserer illustren Schar
war ein Mensch oder wenigstens zur Hälfte ein Mensch.« Er lächelte
traurig. »Jetzt versteht ihr wohl auch, warum es die Menschen sind,
die die Schuld am Fall von Kontovar tragen, habe ich Recht?«
15
Der Stollen von Zwergenheim verlief in einer Länge von zehn Werst
in einer pfeilgeraden Linie von Osten nach Westen. Seine schiere
Größe war überwältigend, und die Reisenden fanden nichts, um ihn
in eine andere Perspektive rücken zu können. Ihre Sinne allein
konnten ihn einfach nicht fassen.
Stattdessen jedoch stießen sie immer wieder auf etwas, das seine
Größe nur noch betonte. Zum Beispiel der unterirdische Fluss, der
aus der Nordwand des Tunnels entsprang und in seinem felsigen,
zerklüfteten Bett schäumte und rauschte. Das Licht der Laternen fiel
auf das schwarze, von weißer Gischt gekrönte Wasser, das unter ei
ner geschwungenen Steinbrücke hindurchtoste. Bahzell blieb eine
Weile an der Balustrade der Brücke stehen, spähte hinunter und ge
noss die feine, frische Gischt auf seinen Wangen.
Sie trafen auf noch weitere, kleinere Quellen und Ströme, die aber
alle kristallklar und eiskalt waren, ebenso auf faszinierende Ver
schiebungen und Neigungen der Stollenwände, wenn der Tunnel
durch verschiedene Gesteinsformationen führte. In regelmäßigen
Abständen markierten kreisrunde Punkte von Tageslicht vertikale
Luftschächte, und Brandark zügelte unter einem sein Pferd, legte
den Kopf so weit es ging in den Nacken und schaute zu dem winzi
gen Punkt blauen Himmels empor. Er verharrte lange so und ver
folgte die Spiegelung des Lichts auf den endlos scheinenden Wän
den des Schachts, schüttelte sich dann und verzichtete anschließend
darauf, noch einmal einen Schacht hinaufzublicken.
Bahzell zog ihn ein bisschen damit auf, ließ es jedoch bald wieder
bleiben, denn er wusste sehr wohl, was die sonst so unbekümmerte
Blutklinge bedrückte. Als sein Freund den Luftschacht hinaufge
blickt hatte, war ihm nachdrücklich klar geworden, wie viele hun
dert Meter Stein und Erde über ihren Köpfen lastete. Und Brandark
Brandarkson konnte sich augenscheinlich nicht gut mit dem Gedan
ken abfinden, dass er im Vergleich zu dieser Größe selbst kaum
mehr als eine winzige Ameise war.
Glücklicherweise waren sie nicht die Einzigen, die das Stollenherz
durchquerten. Das winterliche Wetter hatte den Verkehr zwar dras
tisch unterbunden, aber der Stollen selbst bot eine Menge Ziele. Die
Architekten hatten Platz für Schänken, Gastwirtschaften und Her
bergen eingeplant. Und von dem Hauptstollen zweigten in regelmä
ßigen Abständen gewaltige Höhlen mit glatten Wänden ab, deren
Decken von kannelierten Säulen gestützt wurden. Die erste, die die
Reisenden erreichten, bot gerade genug Raum für eine kurze Rast.
Es war eine Herberge mit Ställen, eine Relaisstation für die König
lich-Kaiserlichen Depeschenreiter, die hier ihre Pferde wechselten,
und außerdem gab es eine Einfriedung für Frachtkarren, damit de
ren Kutscher hier einkehren und den Zugpferden eine Pause gönnen
konnten. Die Herberge wirkte zwar recht einladend, doch es war
noch zu früh am Tag, um bereits ihr Nachtlager aufzuschlagen. Also
tränkten und fütterten sie nur ihre Tiere und zogen weiter.
In der zweiten Höhle fand eine ganze, wenn auch kleine Ortschaft
Platz. Bahzell und Brandark blieben bei diesem Anblick staunend
stehen.
Die Steinwände waren von einem wabenähnlichen Geflecht aus
wundervoll geschnitzten und geschmückten Türen und Fenstern
überzogen, die sich hoch über dem Boden der Höhle erhoben, und
hinter denen sich offensichtlich Heime verbargen. Die Straße teilte
sich mitten in der Höhle um einen großen Brunnen, in dem das
Wasser rauschte. Aus verschiedenen Herbergen drang fröhliche Mu
sik und helles Licht. Andere, erheblich breitere Türen, die massive
Riegel aufwiesen und vor denen sich Laderampen erstreckten, be
herbergten offenbar Lagerhäuser. Aus einer Schmiede klang das
rhythmische Klopfen eines Hammers, mit dem ein stämmiger
Zwerg ein neues Hufeisen für das Pferd eines wartenden
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