Weber David - Schwerter des Zorns - 3
ihr war vollkommen klar, wie sehr die Diener der Familie
dazu neigten, die Abenteuer ihrer Herrschaft auszuschmücken. Außerdem wurde Hanatha von allen Dienern von Baron Tellians Haushalt geliebt. Deshalb neigten vor allem diejenigen, die sich noch an
die fröhliche, junge Edeldame erinnern konnten, die Tellian Bogenmeister einst heimgeführt hatte, dazu zu betonen, was für ein verrückter, unbändiger Wildfang sie einst gewesen war. Das taten sie
vor allem, seit sie eben nicht mehr unbeschwert herumtoben konnte.
Aber wenn ihre Mutter, dieselbe Mutter wohlgemerkt, die Leeana
ständig ermahnte, ihren eigenen Lebensstil etwas zu mäßigen, verrückt genug gewesen war, ihren Vater zu überreden, mit den Pferden über einen Fluss zu schwimmen, der von den Frühlingsfluten
angeschwollen war…!
»Ja«, unterbrach Hanatha Leeanas Gedankengang. »Ich war tatsächlich so verrückt, Liebes. Und ich war damals drei Jahre älter, als
du jetzt bist. Was es dir vermutlich ungerecht erscheinen lässt, wenn
ich dich wegen deiner Streiche tadle, hm?«
»So würde ich das nicht ausdrücken«, erwiderte Leeana diplomatisch. Und ihre Mutter lachte.
»Das will ich auch nicht hoffen!« Ihre dunkelgrünen Augen funkelten. »Du bist eine viel zu gute Tochter, um mir meine eigenen jugendlichen Missetaten vorzuwerfen. Aber wir wissen beide, dass du
es gedacht hast, nicht wahr?«
»Ich… das habe ich wohl«, gab Leeana zu und musste unwillkürlich lächeln.
»Natürlich hast du das. Ich fand deine Großmutter auch häufig
schrecklich ungerecht, wenn sie mich wegen irgendeines geringfügigen Vergehens meinerseits zur Rede stellte. Bis zu einem gewissen
Maß war sie das wohl auch. So wie mir jetzt klar ist, dass ich bei deiner Erziehung zweierlei Maß anlege. Bedauerlicherweise«, sie lächelte immer noch, aber ihre Stimme klang ernsthafter, »sind Eltern
manchmal gezwungen, ein bisschen ungerecht zu sein.«
»Ich habe dich nie wirklich für ungerecht gehalten«, widersprach
Leeana. »Jedenfalls nicht so wie Tante Gayarla, zum Beispiel.«
»Es gibt da einen Unterschied zwischen ungerecht und kapriziös,
Liebes«, erklärte Hanatha ironisch. »So würdig die Schwägerin deines Vaters in mancherlei Hinsicht auch sein mag, wenn es um deine
Cousins geht, schwankt sie, fürchte ich, zwischen Tyrannei und
überwältigender Liebe. Seit Garlayns Tod ist es noch schlimmer geworden. Es wundert mich immer wieder, wie wohlgeraten Trianal
ist, obwohl Staphos und…«
Sie unterbrach sich kopfschüttelnd und nahm ihren ersten Gesprächsfaden wieder auf.
»Nein, Leeana, ich meinte etwas anderes. Manchmal, und das häufiger, als mir lieb ist, fordere ich dich auf, bestimmte Dinge nicht zu
tun, weil ich weiß, wie… unklug es wäre, sie zu tun. Als ich in deinem Alter war, habe ich gerade diese Dinge getan. Ich fürchte, Klugheit ist wirklich eine Erfahrungssache, und wenn man sich die Hand
verbrennt, lernt man am schnellsten und nachhaltigsten, dass Feuer
heiß ist. Eltern verbieten ihren Kindern deshalb häufig bestimmte
Dinge, weil sie dieselben Fehler gemacht haben und jetzt versuchen,
ihre Kinder davor zu bewahren, sie zu wiederholen. Es ist eine
höchst verworrene und nicht sehr ordentliche Art und Weise, damit
umzugehen. Bedauerlicherweise scheint der menschliche Verstand
aber genau so zu arbeiten.«
»Vielleicht, Mutter«, erwiderte Leeana, nachdem sie eine Weile
darüber nachgedacht hatte. »Mit ist klar, dass ich voreingenommen
sein mag, aber ich glaube, du bist sehr gut geraten.« Hanatha lachte
leise und Leeana lächelte. »Du und Vater«, fuhr sie jedoch ernst fort,
»scheint mehr als alle anderen, die ich kenne, genau zu wissen, wer
ihr seid und was ihr einander bedeutet. Und ihr liebt euch nicht nur,
sondern ihr lacht auch miteinander. Manchmal nur mit euren Augen, aber ich merke es trotzdem, und ich liebe es, wenn ihr das tut.
Sollte ich so werden wie du, wenn ich dieselben Fehler mache,
wüsste ich nicht, was ich mir sehnlicher wünschen könnte.«
Hanathas Blick wurde weich, sie holte tief Luft und betrachtete
das Gesicht ihrer Tochter – und erkannte im eleganten Schwung der
Knochen und der kräftigen, wenn auch weiblichen Nase die feine
Vermischung ihrer eigenen Züge mit denen ihres Gatten. Erneut
schüttelte sie sanft den Kopf.
»Es macht mich sehr stolz, dass du das denkst, Leeana. Aber du
bist nicht ich. Sondern ein wundervoller Mensch, den dein Vater
und ich mehr lieben als alles andere, ja als das Leben selbst. Ich
möchte nicht,
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