Weber David - Schwerter des Zorns - 3
Morgenluft tief einsog.
Sie hatte Leeana unauffällig beobachtet, als sie sich zum Aufbruch
vorbereitet hatten. Das Mädchen war beinahe peinlich darum bemüht gewesen, jede Aufgabe zu erfüllen, die erledigt werden musste, obwohl offenkundig war, dass sie mit den meisten dieser kleinen
Handreichungen nicht vertraut war.
Wie viele Adlige der Sothôii, seien es Frauen oder Männer, hatte
man sie bereits in einen Sattel gehoben, als sie gerade mal in der
Lage war, sich allein aufzurichten, und ihre Fähigkeiten als Reiterin
waren entsprechend unvergleichlich. Ihr Wallach, der einen noch
übertriebeneren Namen trug als »Dunkle heranziehende Kriegswolke«, hörte ausgesprochen bereitwillig auf »Boots«, und Kaeritha
fragte sich unwillkürlich, ob überhaupt eines der Streitrösser der Sothôii seinen ursprünglichen Namen ertragen musste. Wie dem auch
sein mochte, Boots, ein Brauner, der seinen Namen den schwarzen
Beinen und weißen Fesseln auf seinen Vorderläufen verdankte,
wirkte makellos gepflegt, ebenso wie sein Zaumzeug und der Sattel,
trotz der Nässe und des Schlamms. Bedauerlicherweise war seine
Reiterin in den anderen kleinen Pflichten, die ein Ritt durch die
Wildnis ihr abverlangte, weit weniger geübt. Wenigstens war sie
willig, das war Kaeritha aufgefallen, und nahm trotz ihrer vornehmen Herkunft überraschend gut Anweisungen entgegen. Alles in allem war Kaeritha geneigt zu glauben, dass in dem Mädchen ein
eherner Kern steckte.
Was auch besser ist, dachte der Paladin grimmig, als sie beobachtete, wie sich Leeana geschickt in Boots Sattel schwang. Kaeritha
konnte Leeanas Motive nur respektieren, dennoch war es einfach
unvorstellbar, dass dieses Mädchen auch nur den Hauch einer nüchternen Vorstellung davon hatte, wie drastisch sich ihr Leben ändern
würde. Es bestand dennoch die Möglichkeit, dass sie ihr neues Leben befriedigender und erfüllender finden würde als ihr drohendes
Schicksal, vorausgesetzt, sie würde diesen Schreck überleben. Kaeritha hoffte es sehr, aber die Kluft, die zwischen der Tochter eines der
unbestreitbar mächtigsten Feudalherrscher des ganzen Königreiches
und einer eher namenlosen Kriegsbraut lag, die darüber hinaus
auch noch von fast allen aus jener Welt, in der sie einst gelebt hatte,
verachtet würde, war ein weit größerer Abgrund, als selbst die gewaltige Böschung der Ebene des Windes ihn darstellte. Falls sie diesen Sturz überlebte, würde sie doch eine erschütternde Erfahrung
machen, noch dazu eine, die jede gewöhnliche beschützte Blume der
adligen Weiblichkeit zerquetschen konnte. Ganz gleich wie entschlossen Leeana versucht haben mochte, sich auf diese Entscheidung vorzubereiten.
Andererseits hatte Kaeritha noch nie viel für die behüteten Pflänzchen der blaublütigen Weiblichkeit übrig gehabt. War das vielleicht
der eigentliche Grund, aus dem sie sich bereit erklärt hatte, dem
Mädchen bei der Flucht aus der Lage zu helfen, in der das Schicksal
sie gefangen hatte? Sie hätte es gern geglaubt. Aber insgeheim gestand sie sich ein, dass sie es vor allem tat, weil es zu der Pflicht eines Paladins des Tomanâk gehörte, die Hilflosen vor Verfolgung zu
beschützen. Angesichts Leeanas vernichtender Beschreibung von
Rulth vom Schwarzenberge und seines Rufes konnte sich Kaeritha
eine Ehe zwischen ihm und dem Mädchen nur als die widerlichste
Form von Verfolgung ausmalen. Ehe oder nicht, es wäre nichts anderes als eine legitimierte Form der Vergewaltigung – und Tomanâk, in seiner Eigenschaft als Gott der Gerechtigkeit, verabscheute Verfolgung und Vergewaltigung, selbst wenn die Tünche der Legitimation an ihnen klebten. Außerdem traf zu, was Leeana sagte:
Sie besaß das verbriefte Recht, diese Entscheidung zu treffen. Falls
sie Kalatha erreichte…
Beide Gründe wiegen schwer genug, dachte Kaeritha. Aber sie
wusste auch, dass es ganz tief in ihr noch einen anderen, weit stärkeren Grund gab, aus dem sie Leeana half. Die Erinnerung an eine
dreizehnjährige Waise, die sich in einem anderen, noch weit finstereren Leben gefangen sah… bis sie sich erfolgreich gegen diese Tortur auflehnte.
Einen Augenblick lang schimmerten die saphirblauen Augen von
Dame Kaeritha dunkler und wirkten viel, viel kälter als selbst die
Gewässer der Bucht von Belhadan. Dann verflog diese Anwandlung, und wie ein Hund den Regen schüttelte sie diese tristen Erinnerungen ab, während sie sich in der kühlen, dunstigen Umgebung
umsah. Die Morgensonne schwebte vor ihnen. Ein
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