Wechsel-Wind
sein, in solch einem Bauwerk die Prinzessin zu sein – oder auch nur eine Scheuermagd. Unglaubliche Sehnsucht verspürte sie nach einem Leben, das sie nie gekannt hatte und niemals kennen würde. Sie war nun zwar wunderschön, aber sobald sie sich von Nimby trennte, würde sie wieder ihr normales, trostloses Selbst zurückerhalten, und ihr Traum wäre ausgeträumt. Über diesen verlorenen Traum hätte sie gern ihre letzte verlorene Träne geweint, wenn sie nur gewußt hätte, wo diese Träne abgeblieben war.
Aber gerade in dieser Angelegenheit wollte sie ja mit dem Guten Magier sprechen. So lachte sie, statt zu weinen, aber tief in sich spürte sie den bitteren Stich des Bedauerns.
Da änderte der Vogel den Kurs direkt zu diesem wunderschönen Schloß und landete vor dem Wassergraben. Das Schloß war also ihr Ziel!
Nimby kletterte aus dem Korb, und sie folgte ihm. Dann verschwand der Nacht-und-Nebel-Vogel rasch und leise. Neben dem strahlend hell erleuchteten Schloß standen sie allein in der Nacht.
Chlorine brauchte nicht lange nachdenken, um zu entscheiden, daß sie besser nicht nachts die Herausforderung annahm und versuchte, in das Schloß zu gelangen. Sie wollte lieber bis zum Morgen warten. Bis dahin könnte sie wenigstens noch ein wenig schlafen.
Dann kam ihr dank ihres brillanten, aber müden Verstands noch ein anderer Gedanke. »Nimby – mußt du eigentlich schlafen?«
Der stattliche Mann schüttelte den Kopf.
»Dann würde es dir also nichts ausmachen, wach zu bleiben und mich vor möglichem Unheil zu behüten? Ich meine, du bist ein großartiges Geschöpf, und ich möchte dich nicht vorzeitig abnutzen.« Verlegen lachte sie auf. »Als mein wahres Selbst hätte ich niemals daran gedacht zu fragen, denn es hätte mir nichts ausgemacht. Aber nun bin ich ein freundlicher Mensch und mache mir durchaus Gedanken um andere. Und außerdem hat es noch einen praktischen Aspekt, denn schließlich bist du es, der mich so wundervoll macht. Also, ist es für dich in Ordnung?«
Nimby nickte.
»Okay, du hältst also Wache und weckst mich einen Augenblick vor der Dämmerung, damit ich mir den Sonnenaufgang ansehen kann. Sicher weiß ich seine Schönheit nun viel mehr zu schätzen als früher.« Sie sammelte einige Blätter, um sich ein Lager zu bereiten, dann fiel ihr noch etwas ein. »Würde es dir etwas ausmachen, dich in deine alte Gestalt zurückzuverwandeln, damit ich dich als Kissen benutzen kann? Zögere nicht, nein zu sagen, wenn…«
Aber da hatte Nimby bereits wieder seine eselsköpfige Drachengestalt angenommen. Er legte sich auf den Boden, und Chlorine tat es ihm nach und bettete den Kopf gegen seine Flanke. Dort waren zwar Schuppen, aber weiche.
»Weißt du, irgendwie siehst du schon sehr komisch aus«, bemerkte sie. »Aber je mehr du für mich tust, desto mehr mag ich dich, selbst so, wie du jetzt aussiehst. Ich hoffe, das ist dir nicht peinlich.«
Nimby wackelte mit einem Ohr und wirkte eher zufrieden als verlegen. Chlorine streckte sich aus, kuschelte sich an in und versank bald in Schlaf.
Sie erwachte dadurch, daß ihr etwas in der Nase kitzelte. »Wer? Was?« fragte sie erstaunt, dann stellte sie fest, daß Nimby sie mit einem seiner Ohren vorsichtig berührte. Sie hatte ihn gebeten, sie einen Augenblick vor Sonnenaufgang zu wecken, und das hatte er getan. »Danke«, sagte sie.
Der Augenblick verging, und die Sonne ging auf. Farbige Lichtstrahlen stießen wie Speere in den Himmel und erhellten ihn, Wolken glühten auf. Dann, als es hinreichend hell war, wagte sich die Sonne hinter den Bäumen hervor. Bei Nacht war die Sonne nie zu sehen, weil sie sich vor der Dunkelheit fürchtete.
»Ach, ist das schön – ich habe mir schon gedacht, daß es schön sein würde!« rief Chlorine aus. »Danke, Nimby, daß du mich rechtzeitig geweckt hast.« Zärtlich streichelte sie ihm über die Eselsohren.
Sie erhob sich und dachte nach. »Du besorgst uns etwas Leckeres zu essen, während ich mich an die Morgentoilette mache«, sagte sie.
Nimby trollte sich, und Chlorine fand einen Busch, der für ihre Zwecke wie geschaffen war, dann holte sie ihre Bürste hervor und fuhr sich durchs Haar. Es war nun viel voller als früher und glänzte im Licht des neuerwachenden Tages wie gesponnenes Gold. Noch immer wies es einen Grünstich auf, aber nun war das Grün wie der Schimmer gesunder Pflanzen, und das Gelb hatte einen goldenen Ton. Chlorine schaute in eine Pfütze und erblickte ihr Spiegelbild: Sie sah
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