Wechsel-Wind
aus wie eine gerade aus dem Schönheitsschläfchen erwachte Prinzessin. Zu schade, daß das alles irgendwann enden mußte.
Sie kehrte an den Schlafplatz zurück, und auch Nimby kam herbei. Er brachte eine Mundvoll frischer Schokoladen- und Vanillekuchen. Anscheinend hatte er einen guten Kuchenbaum gefunden. In seiner jetzigen Gestalt hatte er einen verhältnismäßig großen Mund, deshalb brachte er auch eine recht große Ladung Kuchen herbei, von denen er keinen einzigen angerührt hatte.
Chlorine überlegte. »Werde ich denn auch nicht fett, wenn ich solches Zeug esse?«
Nimby schüttelte den Kopf: nein. Er sollte es wissen, schließlich hatte er sie verwandelt. Also stürzte Chlorine sich mit Appetit auf die Leckereien. Der Drache sah ihr, anscheinend zufrieden, dabei zu.
Dann kam ihr noch ein Gedanke. »Bist du denn nicht auch hungrig, Nimby? Du solltest auch etwas von dem Kuchen essen.«
Nimby zögerte, dann nickte er. Dennoch sah er die Kuchen ein wenig zweifelnd an.
»Ach so, in deiner natürlichen Gestalt könntest du sie alle hinunterschlucken und würdest mir nichts übriglassen? Dann verwandle dich in deine stattliche Menschenform, dann brauchst du nicht so viel davon.«
Der Drache verschwand, der Mensch erschien. Nimby Mensch nahm einen Kuchen und aß ihn; offenbar mochte er das Gebäck.
Dann fiel Chlorine eine vierte Sache ein. »Wanzen und Stechameisen! Sie waren hier in der Nacht – aber ich bin nicht gestochen worden. Hast du mich auch davor beschützt?«
Er nickte.
»Ich weiß gar nicht, was ich ohne dich tun soll, wenn das alles vorbei ist«, sagte sie. »Allmählich beginnt dieses Abenteuer mir Spaß zu machen, und dabei haben wir noch nichts Bedeutendes oder Schlimmes getan.« Sie faßte den Mann ins Auge, entschied aber, daß die schlimmen Dinge noch warten konnten; wollte sie in das Schloß vordringen, so standen ihr drei Herausforderungen bevor.
Zu gegebener Zeit, nicht einen Moment zu früh, gingen sie zum Rand des Wassergrabens. Wunderschön lag das Schloß im Licht des frühen Morgens vor ihnen. Offenbar bot es immer einen großartigen Anblick, nicht nur in der Nacht.
Das Wasser im Graben war ruhig, anscheinend gab es kein Monster darin. Eine Zugbrücke hätte über den Graben geführt, war aber eingezogen; zu Fuß kam man nicht auf die andere Seite. Aber gleich am Ufer lag ein Boot, das an einem Steg vertäut war.
Chlorine sah vor ihren Füßen etwas im Gras liegen und bückte sich, um es aufzuheben. Es war ein Markierstift, von der Sorte, die man früher benutzt hatte, um Kindernamen auf Wäsche zu schreiben. Sinnlos, ihn einfach liegenzulassen, deshalb stopfte Chlorine ihn sich in die Handtasche.
»Na, dann wollen wir mal, Nimby«, sagte sie forsch. »Ich bin die Herausgeforderte, also folge mir einfach, während ich die Rätsel löse. Ich bin sicher, du weißt, wie man die Rätsel löst, aber ich fürchte, es zählt nicht, wenn du mir Tips gibst. Außerdem möchte ich die Herausforderungen genießen. Meinen neuen, klaren Verstand möchte ich doch gern mal auf die Probe stellen.«
Sie näherte sich dem Boot – und aus dem Nichts erschien ein großer, wutschäumender Igel. Er schoß auf sie zu, hockte sich zwischen sie und das Boot und stellte die Stacheln auf. Fast wäre Chlorine hineingetreten, und es sah nicht so aus, als wäre das sehr angenehm gewesen. Sie sah auch, daß man dem Igel ein großes ›R‹ auf den Rücken gemalt hatte.
Chlorine war sehr erstaunt und wich unwillkürlich zurück, so weit, daß sie fast das Gleichgewicht verloren und sich auf ihren Allerwertesten gesetzt hätte. Glücklicherweise fing sie sich vorher noch. Wenn sie ein beliebiges, nichtssagendes Mädchen gewesen wäre, dann hätte es keine Rolle gespielt, im Schmutz zu landen und aller Welt ihre Unterwäsche zu zeigen, aber nun war sie ein edles, glanzvolles Geschöpf, und die Demütigung wäre für sie unerträglich gewesen.
»Das ist kein gewöhnlicher Igel«, sagte sie. »Das ist ein R-igel! An dem komme ich nicht vorbei.«
Hinter ihr zuckte Nimby die Schultern; weder stimmte er wirklich zu noch wollte er Einwände erheben – er war ganz neutral. Das machte Chlorine mißtrauisch; nicht in bezug auf Nimbys Motive, die sicherlich wohlwollend waren, sondern daß es eine Möglichkeit gab und er sie nur nicht preisgeben wollte. Und natürlich, es mußte einen Weg geben, denn sonst wäre es keine legitime Herausforderung durch den Guten Magier.
Sie brütete einen Moment darüber und
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