Wechsel-Wind
überlegte einen Augenblick. Dann dachte sie eine Weile nach, und endlich erkannte sie, daß ihr das Wissen vom Bestehen einer Möglichkeit nicht weiterhelfen würde, es sei denn, sie ging die Sache in der richtigen Weise an. Mit Sicherheit hätte es keinen Sinn, zu versuchen, den Igel einfach zu umgehen; er würde sich ihr in den Weg stellen. Gegen ihn zu kämpfen besaß wahrscheinlich auch nur wenig Erfolgschancen – wer hätte je gehört, daß jemand im Kampf gegen einen Riegel erfolgreich gewesen wäre? Sie mußte die Sperre überlisten oder wenigstens die richtige Art des Entriegelns finden. Es mußte etwas Obskures sein, das ihr in dem Augenblick einleuchtete, in dem sie auf die Idee verfiel. Denn jeder wußte, daß die Rätsel des Guten Magiers genau so und nicht anders angelegt waren. Er wollte nicht, daß jeder Dahergelaufene ihn mit Fragen heimsuchte, also machte er es schwierig, ihn zu behelligen, aber zu seinem Selbstverständnis gehörte nun einmal das Fair play. Nach dem Verständnis aller anderen war der Gute Magier ein knurriger alter Gnom, aber das Verständnis der anderen war hier keinen Pfifferling wert. Also, womit hatte sie es hier zu tun? Chlorines großartige neugewonnene Intelligenz konzentrierte sich auf das Problem, erkundete mit rasender Geschwindigkeit Möglichkeiten und Seitenwege. Was war denn obskur und trotzdem offensichtlich? An der Landschaft war nichts Besonderes… kein Zeichen für Türen, die zu unterirdischen Passagen führten. Das einzig halbwegs Ungewöhnliche war der Markierstift, den sie vorhin gefunden hatte.
Ha! Das mußte es sein! Auf dem Grundstück des Guten Magiers lagen nicht einfach irgendwelche hingeworfenen Dinge herum; hier diente alles einem Zweck. Also mußte der Stift der Schlüssel sein.
Sie holte den Stift hervor. Es war ein handelsüblicher Markierstift, ein wenig benutzt, aber noch immer brauchbar. Wie sollte der ihr helfen?
Ihr kluger Verstand kaute an dem Problem. Angenommen, der Stift war der Schlüssel zum Riegel, wie sollte er ihr helfen. Es handelte sich um einen Stift, einen Marker… von der Marke Magic Marker! Natürlich! Aber was sollte sie damit tun? Etwa den Igel markieren? Das erschien ihr nicht sehr plausibel und auch ein wenig plump. Außerdem würde ihr der Igel mit seinen großen Zähnen sicherlich den wunderschönen, aber nicht sonderlich muskulösen oder gepanzerten Körper zerbeißen, bevor sie nahe genug an ihn herankäme. Ein Stift war zum Schreiben da…
Zum Schreiben. Wenn sie etwas damit schrieb – etwas, das ihr weiterhalf? Wie R-IGEL ÖFFNE DICH? Oder HAU AB R-IGEL?
Sie kramte in ihrer Handtasche und fand schließlich einen Notizblock. Dann zog sie die Schutzkappe vom Stift und schrieb: HAU AB R-IGEL.
Nichts geschah. Andererseits hatte sie auch noch nichts ausprobiert. Sie trat einen halben Schritt näher an den Graben heran – und der Igel zischte wutschäumend und hüpfte drohend auf sie zu. Chlorine widerrief den Rest des Schrittes und zog sich zurück. Der Igel ging wieder in Wachhaltung.
Anscheinend war das nicht das Richtige. Aber vielleicht war sie einfach nicht auf den richtigen Weg verfallen, den Stift zu benutzen. Wie sonst sollte ein magischer Marker noch funktionieren? Trotz ihres überlegenen Verstands fiel ihr einfach nichts ein.
Sie schaute Nimby an, aber der blieb sorgfältig neutral.
Und Chlorine wußte, daß sie ihn nicht um Hilfe bitten würde. »Äh, könntest du dich nicht einen Moment hinlegen…« Aber nein, er schlief ja nicht, behauptete er. »Vielleicht ein Gedankenspiel spielen, kannst du dich damit unterhalten? Ich möchte dich nur ungern mit meiner Unentschlossenheit langweilen.«
Nimby nickte und verfiel in einen Zustand der Ruhe. Chlorine hätte gern gewußt, worüber ein eselsköpfiger Drache überhaupt nachzudenken hatte. Irgendwann würde sie ihn fragen. Aber nun hatte sie etwas anderes zu tun.
Sie strich den Befehl auf dem Block durch – und um sie entstand ein schwaches Leuchten. Besorgt schaute sie sich um, ob ein Erdbebenmonster versuchte, sich an sie anzuschleichen, um sie kräftig durchzuschütteln, aber es war nichts zu sehen. Folglich mußte das Schimmern ein Zeichen für Magie gewesen sein. Das Durchstreichen des Befehls hatte ihn aufgehoben, und das wiederum hatte einen magischen Effekt hervorgerufen. Wenn sie nur wüßte, welchen.
Sie konzentrierte sich stärker. Warum nur hatte sie solche Schwierigkeiten mit etwas, das eigentlich doch höchst einfach sein müßte?
Fast
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