Weg da, das ist mein Handtuch
Nein, sie sagte es nicht. Sie schrie fast, sie merkte, wie hypernervös sie auf einmal war. Sie war froh, dass es bei Kolja so laut war und er es nicht so merken würde.
»Er wird sich sicher melden! Mach dir keine Sorgen.« Eine Frauenstimme im Hintergrund sagte in ungeduldigem Tonfall etwas zu Kolja, und Kolja antwortete auf Französisch. Jessica konnte kein Französisch.
»Wer ist das?«, fragte sie.
»Das? Ach, das ist Denise, die mit mir zusammenarbeitet. Du, ich bin auf einem Bankett, die Ansprache fängt gleich an. Ist noch was?«
»Nein«, sagte sie matt.
»Ach so. Ich kann doch nicht vorbeikommen, das hat sich zerschlagen. Ich muss nach Moskau! Lass uns mal wieder skypen.«
Ihr stieg etwas den Hals hoch.
»He, Jessica!«, sagte jemand neben ihr. Susan nahm sie um die Schultern, es tat gut, bis dieses peinliche Schluchzen aufhörte.
»Wieder in Ordnung?«
»Klar«, antwortete Jessica.
»Wenn du mal reden wills t …«
»Alles in Ordnung«, schniefte Jessica. »Alles top!«
MARIO
Bis er dem Typen seine Pfote weggerissen und sich nach draußen gedrängt hatte, waren die zwei Bräute schon über den Parkplatz und gingen den Weg hoch. Er kürzte gerade durch das trockene Gras ab, da trat sein rechter Fuß in etwas, das sich anfühlte wie Matsch. Aber es war kein Matsch, das wusste er schon, bevor es anfing zu stinken.
Scheiße. Scheiße: Scheiße!
Irgendein Arsch auf zwei Beinen hatte sich hier mitten auf seinem Weg ausgeschissen!
Mario tat, als genieße er den Ausblick übers Meer, bis alle an ihm vorbei waren. Dann säuberte er seinen Fuß im Gras. Wenigstens kam dieser Sani nicht wieder, um zu fragen, ob ihm schlecht sei. Ach ja: Ihm war schlecht.
OLIVER
Am Ende des kleinen Pfades befand sich eine geöffnete Tür im Fels. Davor stand Bruder Basilico und empfing sie mit ausgebreiteten Armen. Er war ein Mönch wie aus dem Bilderbuch, mit Kutte, langem grauen Haar und einem breiten Lächeln. Er sprach kein einziges Wort, nicht mal auf Spanisch.
»Bruder Basilico hat vor zehn Jahren ein Schweigegelübde abgelegt«, erläuterte die Animateurin. »Deswegen kann er auch nicht mit uns beten.«
Die Schwiegermutter, die sich der Höhle mit gefalteten Händen genähert hatte, stieß einen Seufzer der Enttäuschung aus.
Bruder Basilico drehte sich um und verschwand durch die Tür nach innen.
»Wir werden jetzt in die Eremitenhöhle gehen«, sagte die Animateurin. »Bruder Basilico bittet euch, euch auf dem Rundgang angemessen und andächtig zu verhalten. Fotos und Filmaufnahmen sind bei einer Geldstrafe von 5 0 00 0 Euro strengstens verboten. Bitte nicht heimlich filme n – es sind überall Kameras installiert.«
Oliver sah, wie sein Schwiegervater die Kamera murrend einsteckte.
Die Eremitenhöhle war viel größer, als Oliver erwartet hatte. Zuerst kamen sie in eine Art Empfangshöhle, möbliert mit Kniebank, Holzkreuz und ewigem Licht. Die Wände waren tapeziert mit unleserlichen handschriftlichen Dankesbriefen und Fotos von Prominenten aller Art. Oliver entdeckte Guido Westerwelle gleich mehrfach.
Ein Gang führte vorbei an Bruder Basilicos winziger Wohnzelle, deren Tür offen stand. Sie enthielt kaum mehr als eine Holzpritsche, einen Tisch mit Kreuz und Bibel und ein ärmliches kleines Bücherregal, das Oliver bekannt vorkam: Es sah genauso aus wie die Bettablagen in ihrem Hotelzimmer.
Die Animateurin blieb bei zwei panoramafensterartigen Öffnungen stehen. Sie sahen in eine große, gelb ausgeleuchtete Höhle. In ihrer Mitte stand ein fassgroßer dampfender Holzbottich, um den handtuchbedeckte Holzliegen einen Kreis bildeten. Es roch nach Kräutern.
»In diesem Raum verabreicht Bruder Basilico seine einzigartige Gong-Shee-Lee-Behandlung.« Die Stimme der Animateurin war ehrfürchtig gesenkt, als berichte sie live von einer Papsthochzeit. »In der Wanne in der Mitte mischt er geweihtes Wasser mit einer Kräuteressenz, die mit purer positiver Lebensenergie aufgeladen ist: Die Kräuter dafür werden nur an bestimmten Tagen von gläubigen Waisenkindern an heiligen Orten überall auf der Welt gesammelt. Die Rezeptur ist so geheim, dass nicht mal Bruder Basilico selber sie sich komplett merken darf. Der Kräutersud wird mit geweihten Kräuterbündeln direkt auf den nackten Rücken aufgetragen. Er wirkt sofort, entspannt, kräftigt, verleiht neue Lebensenergie, macht gesund und: hält jung. Sagenhaft jung. Nach nur einer einzigen Behandlung werdet ihr neue Menschen sein! Ein Treatment kostet nur 6
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