Weg der Träume
kann.«
»Und was bedeutet das?«
»Er braucht Hilfe nach der Schule.«
»Nachhilfe, meinen Sie?«
Sarah strich ihren langen Rock glatt. »Nachhilfe wäre eine Möglichkeit, aber das kann teuer werden, besonders wenn man berücksichtigt, dass Jonah bei den elementarsten Dingen Hilfe braucht. Wir reden hier nicht über Algebra - im Moment üben wir das Addieren im Bereich von eins bis zehn. Und beim Lesen braucht er einfach etwas Übung. Dasselbe gilt für das Schreiben - Üben ist das Wichtigste. Wenn Sie nicht gerade im Geld schwimmen, übernehmen Sie es am besten selbst.«
»Ich?«
»So schwer ist das nicht. Sie lesen mit ihm, Sie lassen ihn vorlesen, Sie helfen ihm bei den Hausaufgaben, mehr nicht. Ich nehme doch an, dass Sie meinen Hausaufgaben gewachsen sind!«
»Sie kennen meine Schulzeugnisse nicht.« Sarah lächelte.
»Ein fester Wochenplan würde die Sache sehr erleichtern. Kinder behalten alles am besten, wenn sie ganz regelmäßig lernen. Ein Plan bietet außerdem die Gewähr, dass Sie selbst konsequent dabei bleiben, und das braucht Jonah vor allem.«
Miles wippte mit den Füßen.
»Ganz so leicht ist das nicht. Meine Arbeitszeiten wechseln - manchmal bin ich um vier zu Hause, an anderen Tagen erst , wenn Jonah schon im Bett ist.«
»Und wo ist er nach der Schule?«
»Bei Mrs. Knowlson, unserer Nachbarin. Sie ist ein Juwel, aber ich weiß nicht, ob sie ihm jeden Tag bei den Hausaufgaben helfen kann. Sie ist schon über achtzig.«
»Und sonst jemand? Großeltern oder so?«
Miles schüttelte den Kopf. »Missys Eltern sind nach ihrem Tod nach Florida gezogen. Meine Mutter starb in meinem letzten Highschooljahr, und kaum war ich auf dem College, da zog mein Vater weg. Meistens weiß ich gar nicht, wo er gerade steckt. Jonah und ich sind seit zwei Jahren ziemlich auf uns allein gestellt. Verstehen Sie mich nicht falsch - er ist ein goldiger Kerl, und manchmal bin ich froh, dass ich ihn ganz für mich allein habe. Andererseits glaube ich, es wäre leichter gewesen, wenn Missys Eltern hier geblieben wären oder mein Vater sich ein bisschen häufiger um uns kümmern würde.«
Sarah lachte wieder. Ihr Lachen gefiel ihm. Es klang irgendwie unschuldig, wie man es von Kindern kennt, die erst noch begreifen müssen, dass die Welt nicht nur aus Spiel und Spaß besteht.
»Wenigstens nehmen Sie die Sache ernst«, sagte Sarah. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft ich diese Unterhaltung schon mit Eltern geführt habe, die alles nicht wahrhaben oder mir die Schuld geben wollten.«
»Kommt das oft vor?«
»Häufiger, als Sie glauben. Bevor ich Ihnen den Brief schrieb, habe ich mit Brenda gesprochen, wie ich es Ihnen am besten beibringen soll.«
»Was hat sie gesagt?«
»Dass ich mir keine Sorgen machen soll - Sie würden schon richtig reagieren. Dass Sie sich in erster Linie um Jonah sorgen und dass Sie mir zuhören werden. Dann hat sie noch gesagt, ich könne ganz beruhigt sein, auch wenn Sie einen Revolver tragen.«
Miles schaute Sarah entsetzt an. »Das hat sie nicht gesagt!«
»Doch, aber Sie hat es nicht ernst gemeint.«
»Ich werde ein Hühnchen mit ihr rupfen müssen.«
»Nein, bitte nicht, sie mag Sie wirklich. Das hat sie mir übrigens auch erzählt.«
»Brenda mag jeden.«
In diesem Moment hörte Miles, wie Jonah Mark zuschrie, er solle ihn fangen. Trotz der Hitze rasten die beiden Jungen über den Spielplatz und wirbelten um mehrere Pfosten, bevor sie in eine andere Richtung davonsausten.
»Unglaublich, wie viel Energie die Kinder haben«, staunte Sarah. »Heute Mittag haben sie das auch schon gemacht.«
»Wem sagen Sie das! Ich weiß nicht, wann ich mich zum letzten Mal so fit gefühlt habe.«
»So alt sind Sie doch noch gar nicht! Sie sind - vierzig, fünfundvierzig?«
Miles riss erschrocken die Augen auf, und Sarah zwinkerte ihm zu.
»War nicht ernst gemeint.«
Miles wischte sich in gespielter Erleichterung die Stirn und war selbst überrascht, wie sehr er dieses Gespräch genoss. Es kam ihm fast so vor, als flirte sie mit ihm, und das gefiel ihm so gut, dass er fast ein schlechtes Gewissen bekam.
»Besten Dank.«
»Gern geschehen.«
Sarah versuchte vergeblich, ihr Lächeln zu verbergen. »Also«, sagte sie, »wo waren wir stehen geblieben?«
»Sie haben mir gerade gesagt, dass ich ganz schön alt aussehe.«
»Vorher, meine ich… ja richtig, wir hatten über Ihre Arbeitszeiten gesprochen, und Sie haben mir gesagt, dass Sie unmöglich einen festen Plan einhalten
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