Weg der Träume
Meter achtzig groß ist. Er wollte wissen, wo er mich aufspüren konnte. Und wie es passiert war.
Würde er gern erfahren, dass es ein Unfall war? Dass es vielleicht mehr von ihr verschuldet war als von mir? Dass sie mir direkt vor den Kühler gesprungen war?
Der Vogel hatte aufgehört zu zwitschern. Kein Blatt am Baum raschelte, nur die vorüberfahrenden Autos brummten leise. Es wurde schon wieder heiß.
Irgendwo war auch Miles Ryan wach. Ich stellte mir vor, dass er in der Küche saß. Jonah, nahm ich an, saß neben ihm und aß seine Getreideflocken. Ich versuchte mir vorzustellen, worüber sie sich unterhielten. Aber das Einzige, was ich hörte, war ihr regelmäßiger Atem, durchbrochen vom Klirren der Löffel, wenn sie gegen die Schüsseln stießen.
Ich legte die Hände an die Schläfen und versuchte, den pochenden Schmerz fortzureiben. Er kam von irgendwo tief innen, er stach bei jedem Herzschlag wütend auf mich ein. Vor meinem geistigen Auge sah ich Missy auf der Straße liegen. Sie starrte mich aus offenen Augen an.
Sie starrte ins Nichts.
Kapitel 22
Kurz vor zwei erreichte Charlie mit knurrendem Magen und müden Augen das Hailey State Prison. Seine Beine fühlten sich schwer an. Er wurde langsam zu alt, um drei Stunden ohne Unterbrechung zu sitzen.
Er hätte sich im vergangenen Jahr pensionieren lassen sollen, so wie Brenda es ihm geraten hatte. Dann säße er jetzt vermutlich beim Angeln.
Tom Vernon holte ihn am Tor ab.
In seinem Anzug sah er wie ein Banker aus und nicht wie der Direktor eines der härtesten Gefängnisse des Staates. Er trug das grau melierte Haar akkurat seitlich gescheitelt und hielt sich kerzengerade. Als er die Hand ausstreckte, fiel Charlie auf, dass seine Nägel sorgfältig manikürt waren.
Vernon ging voraus.
Wie alle Gefängnisse war auch dieses grau und kalt - Beton und Stahl überall, in grelles, fluoreszierendes Licht getaucht. Sie passierten einen kleinen Empfangsbereich und durchquerten einen langen Flur bis zu Vernons Büro.
Es wirkte so öde und kalt wie das übrige Gebäude. Alles war Behördenstandard, vom Schreibtisch bis zu den Lampen und den Aktenschränken in der Ecke. Von einem kle inen, vergitterten Fenster aus überblickte man den Hof. Charlie entdeckte mehrere Insassen. Einige stemmten Gewichte, andere saßen allein oder in Grüppchen herum. Fast jeder Zweite rauchte.
Warum um Himmels willen trug Vernon an einem solchen Ort einen Anzug?
»Sie müssen nur ein paar Formulare ausfüllen«, sagte Vernon.
»Sie kennen das ja.«
»Aber sicher.«
Charlie klopfte suchend auf seine Brusttasche. Ehe er fündig wurde, reichte Vernon ihm einen seiner Stifte.
»Haben Sie Earl Getlin gesagt, dass ich komme?«
»Ich nahm an, das wollten Sie nicht.«
»Hat man ihn schon geholt?«
»Sobald Sie im Sprechzimmer sind, bringen wir ihn.«
»Danke.«
»Ich wollte kurz mit Ihnen über den Häftling sprechen. Damit Sie sich nicht wundern.«
»Ja?«
»Earl ist hier letztes Jahr in ein Handgemenge geraten. Genaueres haben wir nie erfahren. Sie wissen ja, wie sich die Dinge hier abspielen. Niemand sieht etwas, niemand weiß etwas. Jedenfalls…«
Als Vernon seufzte, blickte Charlie erstaunt auf.
»Earl Getlin hat ein Auge verloren. Es wurde ihm bei einer Schlägerei im Hof ausgedrückt. Er hat ein halbes Dutzend Prozesse angestrengt, weil er uns die Schuld gibt.«
Vernon schwieg.
Warum erzählt er mir das?, fragte Charlie sich.
»Worauf ich hinauswill - er sagte von Anfang an, dass er zu Unrecht hier sitzt. Dass er hereingelegt wurde.«
Vernon hob die Hände. »Ich weiß, ich weiß - jeder hier drinnen ist ein Unschuldslamm. Das ist ein altes Lied, und wir haben es millionenfach gehört. Aber wenn Sie Tipps von ihm wollen, würde ich mir nicht allzu viele Ho ffnungen machen. Es sei denn, er denkt, Sie können ihn hier rausholen. Und sogar dann lügt er vielleicht.«
Charlie sah Vernon verwundert an. Trotz seiner feinen Kleidung wusste er eine Menge über das, was in seinem Gefängnis vor sich ging. Vernon gab ihm die Formulare, und Charlie überflog sie. Immer noch dieselben.
»Irgendeine Idee, wer ihn reingelegt hat?«
»Augenblick«, sagte Vernon mit erhobenem Zeigefinger, »das suche ich heraus.«
Er wählte eine Nummer und wartete, bis sich jemand meldete. Dann stellte er eine Frage, hörte zu und bedankte sich bei seinem Gesprächspartner.
»Er behauptet, es sei ein gewisser Otis Timson gewesen.« Charlie wusste nicht, ob er lachen oder weinen
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