Weg der Träume
sollte.
Natürlich würde Earl Otis jetzt beschuldigen. Damit wurde ein Teil seiner Aufgabe viel leichter. Aber der andere Teil war dafür umso schwieriger.
Abgesehen von der Sache mit dem Auge hatte das Gefängnis Earl Getlin noch übler mitgespielt als den meisten anderen Insassen. Er hatte kahle Stellen auf dem Kopf, und die restlichen Haare hingen unregelmäßig lang auf seine Schultern, als hätte er sie mit einer rostigen Schere geschnitten. Seine Haut hatte eine gräuliche Farbe angenommen, und er war furchtbar dünn.
Am auffälligsten war jedoch die Augenklappe - schwarz, wie bei einem Piraten.
Earls Handgelenke waren aneinander gekettet und gleichzeitig durch eine Kette mit den Fußgelenken verbunden. Er schlurfte in den Raum, blieb kurz stehen, als er Charlie entdeckte, und setzte sich dann. Ein Holztisch trennte sie.
Der Wärter wechselte ein paar Worte mit Charlie und zog sich leise zurück.
Earl starrte Charlie mit seinem verbliebenen Auge an. Es schien, als habe er diesen eindringlichen Blick geübt, weil er wusste, dass die meisten Menschen dann wegschauen würden.
Charlie tat so, als bemerke er die Augenklappe nicht.
»Warum sind Sie hier?«, knurrte Earl. Trotz seines geschwächten Körpers hatte seine Stimme ihre Schärfe nicht verloren. Er war angeschlagen, aber er gab nicht auf. Charlie würde ihn nach seiner Entlassung im Auge behalten müssen.
»Ich möchte mit Ihnen reden.«
»Worüber?«
»Über Otis Timson.« Earl versteifte sich.
»Was ist mit Otis?«, fragte er argwöhnisch.
»Ich will etwas über ein Gespräch wissen, das Sie vor zwei Jahren mit ihm geführt haben. Sie haben im Rebel auf ihn gewartet. Otis und seine Brüder saßen bei Ihnen am Tisch. Erinnern Sie sich?«
Es war nicht das, was Earl erwartet hatte.
»Helfen Sie mir auf die Sprünge«, sagte er. »Das ist lange her.«
»Es ging um Missy Ryan. Hilft Ihnen das?«
Earl hob das Kinn. Dann blickte er kurz nach links und rechts.
»Kommt darauf an.«
»Worauf?«, fragte Charlie und bemühte sich um einen beiläufigen Tonfall.
»Was für mich drin ist.«
»Was wollen Sie denn?«
»Spielen Sie nicht den Einfaltspinsel, Sheriff. Sie wissen, was ich will.«
Er musste es tatsächlich nicht aussprechen. Sie wussten es beide.
»Ich kann nichts versprechen, bevor ich Sie gehört habe.« Earl lehnte sich betont lässig zurück.
»Dann kommen wir wohl nicht weiter, oder?« Charlie sah ihn an.
»Vielleicht jetzt nicht«, sagte er. »Aber irgendwann werden Sie es mir schon erzählen.«
»Warum sollte ich?«
»Weil Otis Sie reingelegt hat, stimmt's? Sie wiederholen für mich, was er damals gesagt hat, und ich höre mir Ihre Version der Geschichte an. Und wenn ich wieder im Büro bin, schaue ich mir Ihre Akte an. Wenn Otis Sie reingelegt hat, finden wir das heraus. Und vielleicht tauschen Sie beide am Ende die Plätze.«
Das genügte, um Earl zum Reden zu bringen.
»Ich hab ihm Geld geschuldet«, begann Earl. »Weil ich ein bisschen knapp dran war, verstehen Sie?«
»Wie knapp?« Earl schniefte.
»Ein paar Tausend.«
Charlie wusste, dass es sich vermutlich um Geld für Drogen handelte. Aber darauf konnte er jetzt nicht eingehen.
»Und dann kommen die Timsons rein. Die ganze Bande. Gehen auf mich los, ich soll bezahlen, ich ruiniere ihren Ruf, und sie können mich nicht weiter aushalten. Ich sag dauernd, sie kriegen das Geld, sobald ich es habe. Die ganze Zeit ist Otis total ruhig, verstehen Sie, als ob er mir wirklich zuhört. Er hat eine coole Art, aber er ist der Einzige, dem es nicht egal ist, was ich da erzähle. Denke ich mir. Also erkläre ich die Situation, und er nickt, und die anderen sind still. Als ich fertig bin, will ich wissen, was er dazu sagt, aber er sagt erst mal gar nichts. Dann beugt er sich vor und droht, wenn ich nicht zahle, passiert mir dasselbe wie Missy Ryan. Nur diesmal fahren sie gleich noch mal über mich drüber.«
Bingo.
Also hatte Sims die Wahrheit gesagt. Interessant.
»Wann war das?«
Earl dachte nach. »Im Januar, glaube ich. Es war kalt draußen.«
»Sie sitzen ihm also gegenüber, und er sagt das zu Ihnen. Wie haben Sie darauf reagiert?«
»Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Gesagt habe ich nichts.«
»Haben Sie ihm geglaubt?«
»Natürlich.«
Heftiges Kopfnicken. Zu heftig?
Charlie betrachtete seine Fingernägel.
»Warum?«
Earl lehnte sich mit klirrenden Ketten über den Tisch.
»Warum sollte er sonst so was sagen? Sie kennen den Mann doch! So was macht
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