Weg der Träume
ich nicht, und doch hatte ich keine Wahl.
»Ich weiß«, sagte ich schließlich mühsam, »wer damals das Auto gefahren hat.«
Sie starrte mich an, als hätte sie die Bedeutung der Worte nicht begriffen.
»Du weißt es?« Ich nickte.
In dem langen Schweigen, das folgte, dämmerte ihr allmählich, warum ich gekommen war. Sie wusste, was ich ihr zu sagen versuchte. Wie ein Ballon, der auf einen Dorn gefallen ist, sank sie in sich zusammen. Ich wandte den Blick nicht von ihr. »Ich war es, Sarah«, flüsterte ich. »Ich war derjenige.«
Kapitel 30
Bei seinen Worten zuckte Sarah zurück, als sähe sie ihren Bruder zum ersten Mal.
»Ich habe es nicht gewollt. Es tut mir Leid, es tut mir so Leid…«
Brian versagte die Stimme, und er begann zu weinen.
Es war nicht das leise, unterdrückte Weinen der Trauer, sondern das herzzerreißende Schluchzen eines Kindes. Seine Schultern zuckten wie unter Krämpfen. Bis zu diesem Moment hatte Brian wegen jenes Abends noch nie geweint, und es schien ihm, als könne er jetzt, wo er einmal angefangen hatte, nie wieder aufhören.
Sarah legte die Arme um ihn. Durch diese Geste kam er sich noch viel mehr wie ein Verbrecher vor, denn er wusste, dass ihn seine Schwester trotz allem noch liebte. Sie sagte nichts, während er seinem Kummer freien Lauf ließ, aber ihre Hand strich ihm sanft über den Rücken, und Brian klammerte sich an sie, weil er unbewusst fürchtete, wenn er sie losließe, würde sich alles zwischen ihnen ändern.
Wie lange er geweint hatte, wusste er nicht, und als er sich endlich wieder gefasst hatte, erzählte er seiner Schwester alles.
Allerdings verschwieg er ihr seine heimlichen Besuche. Während seiner gesamten Beichte mied er ihren Blick. Er wollte weder Mitleid noch Entsetzen sehen, er wollte nicht wissen, wie sie ihn jetzt betrachtete.
Doch am Ende der Geschichte wappnete er sich und sah sie an. In ihren Augen standen weder Liebe noch Vergebung.
Was er sah, war Furcht.
Brian blieb fast den ganzen Vormittag bei Sarah. Sie hatte viele Fragen. Auf einige Fragen allerdings - warum er nicht zur Polizei gegangen war, zum Beispiel - gab es keine sinnvollen Antworten, nur die offensichtliche: Brian stand unter Schock, er hatte Angst, und mit der Zeit war es immer schwieriger geworden.
Wie Brian rechtfertigte Sarah seine Entscheidung, und wie Brian stellte sie sie infrage. Sie erörterten jeden Aspekt ausführlich immer wieder, und als Sarah schließlich still wurde, wusste Brian, dass er jetzt besser ging.
Auf dem Weg zur Tür warf er einen letzten Blick über die Schulter.
Sarah saß zusammengekrümmt auf dem Sofa, als sei sie plötzlich gealtert, hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen und weinte leise.
Kapitel 31
An demselben Vormittag, an dem Sarah weinend auf dem Sofa saß, marschierte Charlie Curtis über die Auffahrt zu Miles' Haus. Er trug Uniform. Es war der erste Sonntag seit Jahren, an dem er und Brenda nicht zusammen zur Kirche gehen konnten, aber wie er ihr am Morgen erklärt hatte, war daran nichts zu ändern. Der Grund waren die beiden Anrufe vom Vortag.
Ihretwegen war er den Großteil der Nacht aufgeblieben und hatte Miles' Haus observieren lassen.
Er klopfte. Miles kam in Jeans, Sweatshirt und Baseballmütze zur Tür. Wenn er überrascht war, Charlie zu sehen, zeigte er es nicht.
»Wir müssen reden«, erklärte Charlie.
Miles stemmte die Hände in die Seiten, immer noch wütend über Charlies Vorgehen und nicht willens, das zu verbergen.
»Dann rede.«
Charlie schob den Hut aus der Stirn.
»Willst du auf der Veranda bleiben, wo Jona h uns hören kann, oder sollen wir in den Garten gehen? Such es dir aus. Mir ist es gleich.«
Eine Minute später lehnte Charlie mit verschränkten Armen an seinem Wagen. Miles stand ihm gegenüber. Die Sonne war noch nicht sehr hoch gewandert und blendete ihn.
»Ich muss wissen, ob du Sims Addison gesucht hast«, sagte Charlie barsch.
»Fragst du, oder weißt du es schon?«
»Ich frage, weil ich wissen will, ob du es schaffst, mir ins Gesicht zu lügen.«
Miles wandte den Kopf zur Seite.
»Ja. Ich habe ihn gesucht.«
»Warum?«
»Weil du gesagt hast, dass du ihn nicht finden konntest.«
»Du bist suspendiert, Miles. Weißt du, was das bedeutet?«
»Es war nichts Offizielles, Charlie.«
»Das ist gleichgültig. Ich habe dir einen Befehl gegeben, und du hast ihn ignoriert. Du hast Glück, dass Harvey Wellman es nicht erfahren hat. Aber ich kann dich nicht ständig decken, und ich bin zu
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