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Weg des Zorns 02 - Der Zorn der Gerechten

Weg des Zorns 02 - Der Zorn der Gerechten

Titel: Weg des Zorns 02 - Der Zorn der Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Weber
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Tisiphone durcheilte Erinnerungen, erprobte Überzeugungen und Glauben, und hätte sie Lippen besessen, so hätte sie abfällig gelächelt ob der Torheit, die sie hier vorfand. Sie und ihre anderen Wesenheiten hatte Dinge wie Liebe und Mitleid niemals kennen gelernt - für Wesen wie sie hatten diese Begriffe einfach keine Bedeutung, und noch weniger dieses Konzept der ›Gerechtigkeit‹. Es griff nach ihr, denn es besaß die gleiche Schärfe wie sie, es berührte ein wenig ihr eigenes Wesen, und doch verspürte sie auch, welche gefährlichen Widersprüche in seinem innersten Kern lauerten. Es schrie nach Vergeltung, ja, doch die Ausgeglichenheit machte die Klinge dieser Waffe unnötig stumpf. Abschwächungen nahmen dieser Sterblichen die tödliche Gewissheit, und diese selbsttäuschende Betonung von ›Schuld‹, ›Unschuld‹ und ›Beweis‹ schwächten ihre Entschlossenheit.
    Tisiphone studierte die Daten, erprobte die innere Spannung, die so viele widersprüchliche Elemente in einem fragilen Gleichgewicht hielten, und der vertraute, unbändige Hunger, der tief im Herzen dieser Sterblichen verborgen lag, machte das alles für Tisiphone nur noch fremdartiger. Sie und ihre Schwesternwesenheiten waren dazu geschaffen worden, zu strafen und Rache zu üben, und ›Schuld‹ oder ›Unschuld‹ hatten bei ihren Aufträgen keinerlei Rolle gespielt. Diese › Gerechtigkeit‹ verlieh dem heißen, süßen Geschmack des Blutes eine bittere Note, und Tisiphone wies diese ›Gerechtigkeit‹ weit von sich. Geringschätzig wandte sie sich ab und richtete ihre Aufmerksamkeit auf andere Juwelen in diesem schatzkammerartigen Verstand.
    Dort waren sie, hoch aufgestapelt, glitzerten unermesslich, und Tisiphone genoss diese entfesselte Gewalt des Kampfes mit Waffen, die wohl Zeus persönlich neidisch gemacht hätten. Diese Sterblichen hatten ihre eigenen Blitze, mit denen sie Tod und Verderben bringen konnten, und mit den Augen ihres Wirtskörpers betrachtete sie erneut die Geschehnisse, schmeckte die ungestümen Wellen des Entsetzens und des Zorns, im Zaum gehalten durch Ausbildung und Wissenschaft, stets angepasst an das jeweilige Ziel. Sie neigte zu Gewalt, diese Alicia DeVries ... und doch, selbst noch im Herzen ihrer Kampfeswut, fand sich dieses verwünschenswerte Gefühl des völligen Losgelöstseins. Diese wachsame Wesenheit, die auch das Blut betrauerte, das sie selbst vergossen hatte, und die selbst noch im Augenblick des Tötens den Tod ihrer eigenen Feinde betrauerte.
    Hätte Tisiphone es vermocht, so hätte sie ausgespien angesichts dieser möglichen Schwäche. Sie musste vorsichtig sein! Diese Sterbliche hatte den Eid abgelegt, ihr zu Diensten zu sein, doch im Umkehrzug hatte Tisiphone sich auch den Zielen dieser Alicia DeVries verschrieben, und ihr Verstand war mächtig und komplex - eine Waffe, die sich gegen Tisiphone selbst richten konnte, wenn sie ihr zu viel abverlangte.
    Andere Erinnerungen umströmten sie - Erinnerungen voller Bitterkeit, ihren eigenen Bedürfnissen viel eher angepasst. Erinnerungen an Sterbliche, die diese Alicia DeVries geliebt hatte, Erinnerungen, die ihr Wirtskörper voller Wachsamkeit hegte, dicht am eigenen Herzen, Talismanen gleich, mit denen sie ihre eigene dunkle Seite zu bezähmen suchte. Anker, die ihr dabei halfen, dieses so sehr schwächende Mitgefühl niemals zu verlieren. Doch nun waren es keine Anker mehr. Sie hatten sich in Peitschen verwandelt, entfesselt durch jüngere Erinnerungen an Vergewaltigung und Verstümmelung, an Blutvergießen und mutwillige Grausamkeit - und an die geschundenen Leiber verstorbener Sterblicher, die diese Alicia DeVries einst geliebt hatte. Die Peitschen bezogen ihre Kraft aus den tiefsten Regionen von Macht und Entschlossenheit, fachten sie zu etwas Vertrautem an, das Tisiphone sofort wiedererkannte. Denn unterhalb all jenes Unsinns aus Mitgefühl und Gerechtigkeit blickte Tisiphone in den Spiegel von Alicia DeVries' Seele und erblickte dabei ... sich selbst.
    Jadeaugen öffneten sich. Finsternis presste sich gegen die Fenster des spartanisch eingerichteten Raumes, stöhnte mit der endlosen Geduld des Winterwindes von Mathison, doch mattes Licht ließ goldene Teiche über die Zimmerdecke wabern. Monitore piepsten leise, fast schon ermutigend, und Alicia atmete langsam und tief durch.
    Auf dem Kissen drehte sie den Kopf zur Seite, begutachtete die Stille, die sie umgab, und sah das Gewehr, das auf ihrem Nachttisch lag. Wie eine manifestierte

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