Weg mit den Pillen
als ins Bett. Und schlafen, immerzu. Wenn alles gut klappt, schlafen wir, schwitzen einmal oder mehrmals kräftig, und der Infekt ist überwunden. Was ist geschehen? Unser Immunsystem hat bei einer der vielen Millionen Abwehraktionen, die es jeden Tag unternimmt, nicht richtig aufgepasst, oder der Erreger war ihm so unbekannt, dass es keine richtigen Aktionen im Arsenal hatte. Oder das Immunsystem war durch irgendeine Belastung geschwächt und konnte den Angreifer nicht gleich im Entstehen eindämmen. Dauernde emotionale Belastung zum Beispiel führt zu einer solchen Schwächung des Immunsystems, aber auch allzu großer Druck an der Arbeitsstelle.
Medizinstudenten kennen etwa die »Prüfungslippe«. Vor Prüfungen schlafen sie oft wenig, ernähren sich schlecht, trinken viel Kaffee, um wach zu bleiben und können auf ihre emotionalen Signale und Bedürftigkeiten nur sehr bedingt Rücksicht nehmen. Was geschieht ? Das Herpesvirus, ein Erreger, den fast alle Menschen der westlichen Hemisphäre in sich tragen und der normalerweise vom Immunsystem eingedämmt irgendwo im Organismus vor sich hin schläft, erwacht zum Leben, weil die Kontrolle des Immunsystems für einen Moment geschwächt ist. Das Virus funktioniert normale Zellen um, um sich selbst zu vermehren. Es entstehen die berühmten Herpes- oder Fieberbläschen auf den Lippen und an der Nase. Ganz ähnlich ist es mit dem grippalen Infekt, nur dass der meistens von außen kommt.
Warum aber wird nicht der ganze Körper von Herpes befallen? Warum stirbt man nicht, außer in selten schweren Fällen von Grippe? Ganz einfach. Weil unser Organismus im Laufe der Jahrmillionen gelernt hat, mit Krankheitserregern zu leben und fertig zu werden. Im Normalfall wehrt er sie erfolgreich ab. Im Ausnahmefall
können sie eindringen und sich ein bisschen vermehren. Dann schlägt das Immunsystem zurück. Das Zurückschlagen des Immunsystems zeigt sich in unseren Krankheitssymptomen: Das Fieber führt dazu, dass alle Prozesse im Körper schneller ablaufen. Es werden mehr Immunzellen produziert, viel schneller als sonst. Das hilft bei der Abwehr. Die erhöhte Temperatur führt dazu, dass das fremde Eiweiß rascher degeneriert und empfindliche Erreger absterben.
Das Immunsystem, das durch den Erreger alarmiert wurde, setzt aber auch einen ganzen Satz verschiedener Botenstoffe frei, sogenannte Interleukine. Diese Eiweißmoleküle haben bestimmte Funktionen. Manche aktivieren andere Immunzellen und regen sie dazu an, sich zu teilen oder Antikörper zu produzieren. Wieder andere gelangen über den Blutkreislauf zum Gehirn. Dort gibt es in bestimmten Bereichen, welche die ganze innere Balance des Körpers kontrollieren, spezifische Rezeptoren. Diese Rezeptoren können die bestimmten Interleukine – in diesem Falle IL-1 – erkennen. Das Gehirn wird auf diese Weise über das Vorhandensein der Infektion informiert. (Eigentlich ist es sogar so, dass das Gehirn laufend über den immunologischen Status des Organismus im Bilde ist, nur merken wir dies nicht.) Diese Information ist normalerweise unbewusst.
Wenn nun aber eine manifeste Infektion eingesetzt hat, dann benötigt der Körper die aktive Unterstützung des ganzen Organismus. Daher alarmieren die Interleukine das Gehirn in einer Art und Weise, die nicht zu übersehen ist: Wir spüren den Alarm als bleierne Müdigkeit, als das Bedürfnis nach Ruhe, Wärmflasche, Buch, Kuscheltier und allem. Es wird also nicht nur die unbewusste Ebene der immunologischen Abwehrprozesse aktiviert, sondern jetzt auch die bewusste des Verhaltens. Und was tut der postmodern medizinisch verbildete Normalbürger? Er ist beschäftigt, kann sich keine Grippe leisten oder hat gerade einen Flug in die Ferien gebucht, oder eine wichtige Cocktailparty oder einen dringenden Auftrag. Er geht in die Apotheke und kauft sich Fiebersenker. Die funktionieren meistens, denn die Pharmakologie des Fiebers ist bekannt
und man kann den Fieberprozess mittlerweile recht gut beeinflussen. Das Fieber ist aber kein Krankheitssymptom im eigentlichen Sinne, sondern eine sekundäre Reaktion des Organismus auf eine Situation, bei der die Aktion des ganzen Menschen gefragt ist, einschließlich seines Verhaltens. Wenn das Verhalten nicht der biologischen Notwendigkeit folgt (in diesem Fall: wenn der Kranke Fiebersenker nimmt), kann es zu Problemen kommen. Oft bleiben die Müdigkeit und das schlechte Gefühl zurück. Oft wird das Immunsystem in seiner Aktivität behindert. Manchmal lernt
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