Weg mit den Pillen
Gesamtzusammenhang des Kosmos und der Schönheit der Welt. Um diese Schönheit zurückzugeben, muss etwas getan werden, das sie wiederherstellt. Alle wichtigen Kräuter in einem Sud sind ein Symbol für die vereinte Natur. Das Sich-Übergießen damit ist ein Zeichen dafür, dass alle in den Prozess eingebunden sind, dass Krankheit kein individuelles Schicksal, sondern eine Funktion des Gesamten ist, und dass diese Einheit und Schönheit der Welt wieder in die Gruppe zurückkehren soll.
Diese Rituale sind sehr wirksam, sonst hätten sie sich nicht so lange erhalten. Sie erfüllen eine wichtige Funktion, und wenn es nur die ist, die Selbstheilungskräfte dadurch zu aktivieren, dass der Kranke fühlt: Alle kümmern sich, ich bin nicht allein, alle haben ein Interesse daran, dass es mir wieder gut geht, alle beteiligen sich, ich bin Teil der Gemeinschaft. Dadurch wird das Gefühl der Zugehörigkeit gestärkt und möglicherweise die Kraft des Kranken, sich selbst zu heilen, wiederhergestellt.
Tja, die edlen Indianer des Wilden Westens, werden Sie denken. Hier ist eine Geschichte aus dem zivilisierten Westen, genauer gesagt zwei. Sie handeln wieder von der Behandlung der Angina pectoris, also dem Brust- und Armschmerz, der entsteht, wenn eine koronare Herzkrankheit vorliegt. Der zivilisierte Westen hat nämlich ebenfalls ein hoch ausgeklügeltes Ritual entwickelt, die Operation. Es ist etwas teurer als das der Navajos, aber es hat, strukturell gesehen, Ähnlichkeit. Alle kümmern sich. Es wird der vermeintliche
Fehler behoben. Ob das wirklich stimmt, ist eigentlich weniger wichtig, denn der Erfolg gibt uns Recht. Der Patient ist sich sicher: Ich bin jetzt wieder auf dem aufsteigenden Ast, denn der mächtigste Schamane meiner Kultur hat sich um mich gekümmert und wenn schon nicht den Zaubertrank gebraut, so doch sein mächtigstes Instrument zur Vermittlung zwischen der Welt der Geister und der Lebenden ausgepackt: die Narkoseapparatur und das Skalpell. Wenn Ihnen der Vergleich unserer modernen Herzchirurgie mit indianischen Heilritualen jetzt erst einmal merkwürdig vorkommt, dann werden Sie die in Kapitel 8 geschilderten Studienergebnisse vielleicht besonders interessieren.
Schon der Altmeister der Placeboforschung, der US-amerikanische Psychiater Jerome D. Frank, hatte gemutmaßt, dass die meisten therapeutischen Erfolge der Medizin im Wesentlichen darauf beruhen, dass sie strukturell genauso funktionieren wie die Heilrituale der Navajos und anderer indigener Stämme. Sie enthalten nämlich alle immer und immer wieder die folgenden vier Komponenten 15 :
Der Heiler hat einen Wirksamkeitsausweis. Er ist ein Schamane mit entsprechender Ausbildung, bei uns ein hochdekorierter Internist, Chirurg, Professor oder sonst was. Das erkennt man bei uns nicht an den Federn und Rasseln, sondern an den vielen Diplomen und Auszeichnungen, an der langen Publikationsliste und an den vielen Doktoranden, die im Schlepptau des Chefs durch die Hallen des Krankenhauses fluten. Der Heiler hat immer einen therapeutischen Nimbus, und wenn er keinen hat, dann schafft er sich einen.
Der Heiler hat immer ein plausibles Modell. Der Navajo-Schamane erzählt die Geschichte von der gebrochenen Harmonie und Schönheit. Der Herzchirurg erklärt die unterbrochene Blutversorgung zum Herzen. Der Schamane beschwört die Notwendigkeit, die Harmonie wiederherzustellen. Der Herzchirurg malt in düsteren Farben die schlechten Chancen eines Herzens ohne Blut aus. Beides extrem einleuchtend.
Der Heiler hat ein überzeugendes Ritual. Der Navajo-Schamane braut den Trank aus allen heiligen Kräutern des Stammes. Alle
sind mit beteiligt, der Kranke wird einbezogen. Der Herzchirurg wirft die gesamte Maschinerie einer Hochtechnikchirurgie an. Anästhesisten kommen und huldigen ihm. Schwestern mit Spezialausbildung dienen ihm. Junge Assistentinnen bewundern ihn, junge Assistenten beneiden ihn, Oberärzte hassen ihn. Ein an Komplexität und Tiefe kaum zu überbietendes Ritual der Heilung setzt ein: die Öffnung des Brustkorbs oder bei den neueren Methoden das subtil-mikroskopische Eindringen in die feinen Verästelungen der Herzarterien.
All das führt zu einem völlig einleuchtenden Effekt beim Patienten : Er ist erleichtert. Zum einen hat er eine klare Auskunft, was jetzt mit ihm los ist. Es gibt keinen Zweifel: Der Schamane, der Herzspezialist hat’s gesagt. Das beruhigt schon mal. Außerdem weiß er sich in guten Händen. Die beste Herzchirurgie im Land, in der
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