Weg mit den Pillen
wir messen.
Daher ist es guter Standard, bei pharmakologischen Untersuchungen solche Effekte auszuschalten. Denn man will eigentlich nur eines wissen: Hat eine pharmakologische Substanz – ganz unabhängig von allen psychologischen Effekten der Erwartung, des Heilrituals, der Bedeutungsgebung – auch noch einen kausal-pharmakologischen Effekt? Denn das ist ja schließlich die Behauptung. Daher sieht man in solchen Untersuchungen nur auf den Differenzwert zwischen der Placebogruppe und der Behandlungsgruppe
und stellt die Frage: Ist der Unterschied bedeutsam, und ist er in einem statistischen Sinne signifikant?
Nun muss man etwas wissen, was den meisten Laien nicht sofort klar ist. Sofern ein Effekt – wie klein er auch sei – vorhanden ist, kann man ihn mit einer Studie, die groß genug ist, auch statistisch absichern. Die Statistik erteilt keine klinischen Bedeutungen, sondern macht nur Aussagen über die Sicherheit eines Schlusses. Ob der Schluss selbst sinnvoll ist, die Aussage wichtig, der Effekt von klinischer Bedeutung, ist nicht Sache der Statistik. Das hängt mit ihrer inneren Logik zusammen, die wir jetzt nicht genauer analysieren wollen. Aber es hat die Auswirkung, dass es passieren kann, dass ein Präparat »wissenschaftlich geprüft«, »statistisch signifikant« ist und dennoch klinischer Unsinn – nämlich dann, wenn der Effekt sehr klein ist, die Nebenwirkungen hoch und die Kosten zu teuer.
Lassen Sie mich hier ein bisschen abweichen und dies kurz erklären: Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Patient mit Migräne. Sie wissen: Nichts kann die Krankheit heilen, man kann höchstens etwas gegen die Schmerzen tun. Die Kosten dafür: ein paar hundert Euro im Monat (für die Krankenkasse) und das Risiko einiger Nebenwirkungen, evtl. auch eine gewisse Abhängigkeit. Nun wollen Sie natürlich wissen: Rentiert sich die Einnahme einer solchen Substanz wirklich? Wie groß ist die Chance, dass sie mir hilft? Wenn Ihnen Ihr Arzt sagt: »Jedem zweiten Patienten hilft das Medikament«, stehen Ihre Chancen 50:50 und damit nicht schlecht. Wenn er jedoch sagt, man müsse zehn Patienten behandeln, bis einem von ihnen geholfen wird, dann werden Sie es sich vielleicht überlegen. Würde er gar sagen, man müsse 99 Patienten behandeln, bis einem geholfen wird, dann werden Sie es sich sehr gut überlegen, ob Sie eine solche Behandlung wollen. Dies ist das Konzept der klinischen Wirksamkeit oder klinischen Bedeutung eines Effekts, statistisch gesprochen der Effektstärke.
Diese Größe wird von der Statistik folgendermaßen behandelt: Ein Effekt ist immer dann bewiesen, wenn die sogenannte Nullhypothese (keinerlei Effekt) mit einem statistischen Test widerlegt wurde. Wenn ein Effekt sehr groß ist, dann benötigt der Forscher
relativ wenige Patienten, um im Rahmen seiner Statistik sagen zu können, ein Effekt sei statistisch bedeutsam oder signifikant. Wenn ein Effekt sehr klein ist, benötigt er einfach sehr viele Patienten in einer Studie, um ihn statistisch abzusichern. Faustregel: Studien, bei denen mehr als 100 Patienten eingeschlossen waren, haben in aller Regel mit relativ kleinen Effekten zu tun. Weil alle Beteiligten sparsam sind – die Pharmafirmen, die öffentlichen Geldgeber und die Ethikkommissionen, welche die Studien genehmigen müssen –, wird immer genau überlegt, wie groß eine Studie mindestens sein muss, um den erwarteten Effekt statistisch absichern zu können. 21 Wie wichtig uns ein Effekt ist, hängt ein bisschen davon ab, wie bedeutsam die Krankheit ist, wie schwer sie zu behandeln ist, wie hoch die Folgekosten der Krankheit wären, und oftmals auch davon, wie leicht sie zu beeinflussen ist. Lassen Sie mich das an ein paar Beispielen illustrieren: Man entdeckte in den 1960er-Jahren, dass Aspirin nicht nur dazu dienen kann, Entzündungen zu hemmen – es beeinflusst die Synthese von Prostaglandinen, einer Gruppe von Botenstoffen, die Entzündungsgeschehen im Organismus vermitteln –, sondern dass es auch zur Blutverdünnung verwendet werden kann. Daraus entwickelte man die Idee, dass man ja vielleicht Aspirin zur Vorbeugung des Herzinfarktes verwenden könne. Man führte eine entsprechende Studie durch. Bei dieser Studie erhielt medizinisches Personal Aspirin oder Placebo über einen Zeitraum von vielen Jahren, im Durchschnitt fünf Jahre. Die Studie wurde vorzeitig abgebrochen, weil damals klar wurde: Aspirin ist signifikant wirksamer in der Vorbeugung von Herzinfarkt als Placebo. Man
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