Weg mit den Pillen
Stadt, in der Region etc. wird sich seiner annehmen, der berühmte Operateur xyz, der jedes Jahr 300 solcher Operationen vornimmt (alle erfolgreich), wird sein Leiden beheben – extra für ihn sein ganzes Können einsetzen. All das führt zu einer immensen Erleichterung, Steigerung der Hoffnung und tiefen Bindung in Dankbarkeit an den, der das Leben in Händen hielt und es einem zurückgegeben hat. Welch ein Wunder!
Wir sehen: Es gibt ganz verschiedene Weisen, die Selbstheilungskräfte anzuregen. Aber immer sind es die gleichen Endstrecken: Erleichterung, Hoffnung, Linderung der Angst, Zugehörigkeit, Eingliederung in die Gruppe der Gesunden, Bindung und Zuwendung. Grundmenschliche Bedürfnisse werden mit großem Aufwand befriedigt – vielleicht das erste Mal seit langer Zeit. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will nichts gegen Herzchirurgen sagen und auch nichts dagegen, dass nicht sogar womöglich ein sehr effektiver kausal-mechanischer Anteil in dieser modernen Behandlung steckt. Aber einmal kurz Figur und Grund gewechselt – zurück finden Sie ja selbst wieder – und wir sehen: Man kann das Ganze auch mit den Augen eines Außerirdischen sehen, so wie wir die Heilungsrituale der Navajos sehen und analysieren; es sind ganz ähnliche Rituale und beide wecken womöglich die gleichen Kräfte der Selbstheilung.
Wie weit dies gehen kann, illustrieren folgende Fallbeispiele aus der Placeboforschung:
Die erste Geschichte wird von Laurence LeShan überliefert. 16 Ein schwer an Krebs erkrankter Patient hatte damals, also in den 1960er-Jahren, keine therapeutische Chance mehr. Also entschlossen sich seine Behandler zu einer List. Sie gaben ihm Spritzen mit Vitamin C, die sie als Placebo einstuften (jedenfalls in der gegebenen Dosierung), und sagten ihm, das sei ein ganz neues Wundermittel, noch nicht zugelassen und nur unter schwersten Auflagen, also zum Beispiel in ihrer Praxis, zu bekommen. 17 Wider alle Erwartung genas der Patient oder wurde jedenfalls so beschwerdefrei, dass er ohne größere Probleme weiterlebte und seine Spritzen regelmäßig abholte. Bis ihm eines Tages die Sprechstundenhilfe eröffnete, dass er Placebo erhalten habe. Er starb kurze Zeit später. Eine hoffnungsfrohere Geschichte dieser Art wird von Bernard Lown berichtet 18 , der zu den berühmtesten Kardiologen seiner Zeit zählte. Er traf eines Tages auf einer seiner Visiten im Krankenhaus einen Mann, der aus seiner Sicht dem Tod geweiht war. Er wollte das seinen Assistenten, die ihn begleiteten, nicht in Gegenwart des Mannes offen sagen und sagte stattdessen, es handle sich hier um einen Mann mit einem sogenannten Galopprhythmus des Herzens. Das ist im Medizinerjargon der jagende Herzschlag eines herzkranken Menschen, der auch wahrgenommen wird, kurz bevor das Herz zu schlagen aufhört. Der Patient jedoch hörte die umgekehrte Botschaft. Bei ihm löste das Wort vom »galoppierenden« Herzen die Assoziation eines starken Pferdes aus. Er sagte sich: Wenn ich ein Herz wie ein galoppierendes Pferd habe, dann kann es doch nicht so schlimm um mich bestellt sein. Als Lown auf der nächsten Visite wieder vorbeikam, war er aufgrund seiner Erfahrung sicher, dass der Mann gestorben sein musste. In der Tat. Das Bett war leer. Allerdings sagte ihm das Personal, dass er nach Hause gegangen sei. Kurz nach der letzten Visite habe er sich selbst entlassen. Anscheinend hat er noch etliche Jahre so gelebt. Die Assoziation eines Begriffes, der eigentlich sehr Negatives bedeutet, hat bei ihm das Gegenteil bewirkt und ihn gesunden lassen.
Wir sehen: Was eine Behandlung mit einem Patienten macht oder nicht macht, ist nur zum Teil von den objektiven Eigenschaften der Behandlung abhängig. Was offensichtlich viel wichtiger ist, ist die Bedeutung, die eine Behandlung in uns selbst, in unserem Geist, erzeugt: die Bedeutung des Neuwerdens, mit allen Assoziationen und Kräften, die dadurch freigesetzt werden. Die Bedeutung, die die Ärzte in Laurence LeShans Beispiel von der Placebobehandlung des Krebspatienten erzeugt haben, war die eines ganz neuen, nie dagewesenen Wundermittels. Der Patient setzte alle Hoffnung darauf und genas. Die Bedeutung, die Lown mit seinem Wort vom »galoppierenden Herzen« bei seinem Patienten freisetzte, war gegen die eigentliche Intuition die von Stärke und Gesundheit, und der Patient heilte sich im Rahmen seiner Möglichkeiten selbst.
Normalerweise werden solche Effekte im Rahmen des Maschinenparadigmas als »Placeboeffekte«
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