Weg mit den Pillen
Placebo abgesichert ist. Das ist das von mir so benannte Wirksamkeitsparadox. Lassen Sie mich diese beiden Elemente getrennt voneinander erklären.
Wir haben gesehen: Placebokontrollierte doppelblinde Studien versuchen das zu belegen, was die Pharmakologie »spezifische Wirksamkeit« nennt. Sie tun dies, indem sie die Effekte, die eine pharmakologische Substanz (im Grunde könnte es auch der Effekt einer chirurgischen oder sonstigen Behandlung sein, doch meistens sind
es eben Arzneimittel, die so getestet werden) gegenüber einem Placebo hat, statistisch absichern. Diese statistische Absicherung beruht auf zwei Annahmen. Die eine Annahme lautet, dass der Effekt klinisch bedeutsam ist; damit wurde entschieden, dass es sinnvoll sei, die Effektstärke wissenschaftlich zu untersuchen und zu belegen. Die andere Annahme besagt, dass das »Rauschen«, die Hintergrundeffekte, die in den Placebogruppen gemessen werden, über alle Untersuchungen und Behandlungen hinweg ungefähr gleich sind. Dass diese letzte Annahme sehr problematisch ist, werden wir gleich sehen.
Lassen Sie mich zunächst noch zur ersten Annahme ein paar Worte verlieren. Sie geben nämlich in der Praxis oft genug Grund dafür ab, dass wir denken, nur weil etwas wissenschaftlich belegt ist, ist es auch sinnvoll. Das ist nicht immer der Fall. Wir wollen uns dies an einem prominenten Beispiel vor Augen führen, an der medikamentösen Therapie von Depressionen.
Depression – die Effekte verschiedener Therapien und die Bedeutung des Placeboeffekts
Eine bei Psychiatern beliebte Theorie besagt, Depression sei die Entgleisung eines oder mehrerer Überträger- oder Transmittersysteme im Gehirn. Wir wissen, vereinfacht gesagt, Folgendes: Unsere Nervenzellen kommunizieren dadurch miteinander, dass elektrische Impulse, die an ihnen entlanglaufen, zu einer Freisetzung von Botenstoffen führen. Diese Botenstoffe nennt man Transmitter, weil sie eine Botschaft überbringen (vom lateinischen Wort transmittere : hinüberschicken). Es ist mittlerweile eine Unzahl solcher Transmitter entdeckt worden. Fast jedes Hormon des Körpers, also jener Botenstoffe, die im Blut zirkulieren, kann auch im Gehirn als Transmitter fungieren, und fast jeder Transmitter im Gehirn oder im Nervensystem kann auch in der Peripherie, also in anderen Körperzellen als Hormon wirksam sein. Manchmal sind die Effekte ganz unterschiedlicher Natur. Das Ganze ist höchst kompliziert.
Im Gehirn sind einige weitverzweigte Transmittersysteme bekannt und untersucht. Eines davon ist das System, das mit Serotonin arbeitet. Serotonin ist eine Substanz, die an vielen Stellen im Organismus vorkommt und ganz verschiedene Wirkungen entfalten kann – je nachdem, welche Rezeptoren es aufnehmen. Rezeptoren sind diejenigen biologischen Ankopplungsstellen, an denen Transmitter aufgenommen werden und so ihre Effekte erzeugen. In Blutgefäßen etwa hat Serotonin den Effekt, dass es die Gefäßwände verengt. Auch das autonome Nervensystem, das unsere Darmbewegungen regelt und unseren gesamten Bauchraum durchzieht, verwendet im Wesentlichen Serotonin als Überträgersubstanz.
Im Gehirn ist das Serotoninsystem ein ganz unspezifisch aktivierendes System. Man kann den Effekt dieses Systems mit einer Art Dusche vergleichen, die überallhin regnet. Seine Funktion ist offenbar, das Gehirn in eine Art positiven Wachzustand zu versetzen, sodass es seiner Funktion nachkommen kann, nämlich sich nach außen zu orientieren, sich der Gegenwart zu widmen und als Nebeneffekt Freude an den Tätigkeiten zu haben, die man eben so gerade unternimmt.
Da genau diese Außenorientierung bei depressiven Menschen gestört ist, liegt der Gedanke nahe, dass bei Depressionen vielleicht dieses System gestört sein könnte. Dies ist übrigens eine direkte Auswirkung des Maschinenparadigmas: Im Zuge der biologischen Psychiatrie analysieren wir inzwischen auch psychische Krankheiten im gleichen Sinne wie körperliche – manchmal mit Erfolg, manchmal auch mit eher geringem Erfolg. Wenn man den Organismus als Maschine sieht, dann kann man in der Tat auf die Idee kommen, dass das wesentliche gehirnaktivierende System bei einer Depression leicht entgleist ist. Wenn dem so ist, dann wäre es doch naheliegend, einfach das Fehlende zu ersetzen, also ein bisschen mehr Serotonin ins System zu geben.
Das klingt einfacher, als es ist: Aufgrund der Blut-Hirn-Schranke, also der trennenden Zellschicht zwischen Blutgefäßen und Gehirn, gelangen nämlich
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