Weg mit den Pillen
Instrumentarium nicht, um zu untersuchen, wie solche Effekte hervorgerufen werden können. Und lange Zeit interessierte sich auch kaum jemand dafür. Das hat sich geändert, seit die Komplementärmedizin eine Mitspielerin im Konzert der medizinischen Akteure geworden ist. Man begann nämlich zu verstehen: Die Effekte, die von solch komplexen Maßnahmen wie Akupunktur, Homöopathie, Entspannungsverfahren oder gar von relativ komplexen ritualisierten Apparaturen ausgehen, können nicht mit dem Schema der herkömmlichen pharmakologischen Forschung – über die simple Zweiteilung »richtiger Effekt, wenden wir an« und »falscher Effekt, reduzieren wir« – aufgeteilt werden. Vielmehr zeigt sich genau an ihnen, dass durch solche Maßnahmen offenbar Selbstheilungsvorgänge angeregt werden, sodass sich der Organismus ganz von selbst und vor allem von innen heraus heilt. Dann stellt sich natürlich sofort die nächste Frage: Wie und wo genau geschieht denn das? In diesem Kapitel wollen wir dieser Frage nachgehen.
Schmerz, Opiate und Placebo
In den 1970er-Jahren entdeckten Forscher im Gehirn und Nervengewebe von Mäusen – später auch bei Menschen – Substanzen, die Ähnlichkeiten mit Morphium aufwiesen. Sie wurden offensichtlich vom Körper selbst hergestellt und erhielten deswegen den Namen »Endorphine«, eine Zusammenziehung der Begriffe »endogene Morphine«, also vom Organismus erzeugte Morphine. Endorphine wirken zentral (also im Gehirn), aber auch peripher (also an anderen Stellen des Nervensystems außerhalb des Gehirns). Das Gehirn bedient sich solcher Überträgersubstanzen für ganz bestimmte
Prozesse der Schmerzmodulation und auch, um Belohnung und Wohlgefühl zu erreichen. Es zeigte sich rasch, es gibt unterschiedliche Klassen davon, die ganz verschiedene Funktionen haben. Manche davon betreffen das Immunsystem. Sogar einfache Schnecken haben solche Substanzen. Das legte den Schluss nahe, dass wir es hier mit einem sehr frühen System zu tun haben, das mit der Abwehr von Gefahr und der Eindämmung von Schmerzen zu tun hat. Kurz zusammengefasst ist die Geschichte folgende: Bei der zentralen Verarbeitung von Schmerzreizen gibt es im Wesentlichen zwei miteinander in Konkurrenz stehende Systeme. Das schmerzleitende System leitet ständig Informationen ins Gehirn. Dort werden die eingehenden Impulse analysiert und durch hemmende Bahnen, die absteigen, modifiziert. Diese absteigenden, hemmenden Bahnen wirken vor allem über Endorphine. Das heißt – etwas platt und vereinfacht gesagt – Endorphine sind dafür zuständig, dass wir uns gut fühlen. Sie sorgen dafür, dass die sensorischen Reize, die uns von außen erreichen, nicht als Schmerzen empfunden werden. Bei manchen chronischen Schmerzsyndromen ist ja bekanntlich das Problem, dass die Patienten zwar schreckliche Schmerzen leiden, aber kein Mensch dafür eine Ursache finden kann. Dies liegt dann oftmals daran, dass die Reizleitung der Schmerzfasern durch Lernprozesse übersensibilisiert wurde. Gleichzeitig funktioniert die Gegensteuerung durch hemmende Fasern nicht mehr, sodass die Gesamtbalance gestört wird. Deswegen erreichen Schmerzreize das Zentrum, die nicht mehr physiologisch sinnvoll sind. Dadurch ist natürlich nicht nur der Schmerz vorhanden, sondern auch das Wohlgefühl im Allgemeinen beeinträchtigt. Denn diese endogenen Morphine und ihre Kollegen, die endogenen Opiate, sind für das Wohlgefühl zuständig.
Erinnern Sie sich an meine kurze Episode, über die ich oben berichtet habe, als es mir selbst einmal gelungen ist, durch eine vertiefte Meditation einen sehr hartnäckigen Ischiasschmerz zu beseitigen ? Ich habe mir dabei zwar nicht ins Gehirn geschaut, aber es dürfte wahrscheinlich damit zu tun gehabt haben, dass durch den vertieften Meditationszustand, der ja immer auch eine ekstatische
Komponente enthält, dieses Endorphinsystem stimuliert wurde, sodass die Schmerzhemmung wieder zu funktionieren begann.
Genau diese Situation macht viele chronische Schmerzsyndrome so extrem schwer behandelbar. Denn hier haben wir es mit einer zentralen Fehlregulation zu tun, bei der vermutlich das Endorphinsystem eine wichtige Rolle spielt. Was tun? Man kann natürlich Opiate geben. Das hilft bei Schmerzen, das wissen wir ja. Aber was passiert? Danach kommen die Schmerzen heftiger wieder, weil die externe Zufuhr des Fehlenden die interne Produktion der Substanzen durch einen negativen Rückkopplungskreislauf reduziert. Dem Körper wird vorgegaukelt,
Weitere Kostenlose Bücher