Weg mit den Pillen
und nutzt manchmal sogar die gleichen physiologischen Kanäle wie die Pharmakologie. Der Unterschied ist allerdings drastisch: Die Modulation erfolgt ohne materielle und massive Eingriffe.
Wie wichtig die Psychologie und die Behandlungserwartung sind, haben Benedetti und Kollegen mit einer raffinierten Versuchsanordnung gezeigt. Sie haben Schmerzpatienten nach Operation zwei verschiedene Typen von Schmerzmitteln verabreicht: ein Opiat und Novalgin, ein beliebtes Schmerzmittel, das an sich unter anderem bei postoperativen Schmerzen als wirksam anerkannt ist. Es gehört zur Klasse der entzündungshemmenden Substanzen und ist weitverbreitet. Der Trick, den sie anwandten, bestand darin, dass sie den Patienten nicht mitteilten, wann die Substanz verabreicht werden würde. Die Injektion erfolgte nämlich in einen bereits gelegten Venenkatheter über eine automatische Apparatur, die so programmiert wurde, dass ohne Wissen der Versuchsleiter und ohne Wissen der Patienten irgendwann die Substanz verabreicht wurde. In diesem Fall wurde also die Erwartung auf Behandlung generell gelegt, aber zeitlich verwaschen. Die Patienten machten alle 15 Minuten Angaben darüber, wie viel Schmerzen sie empfanden. Wenn man sich diese Kurven der Schmerzangaben ansieht, dann erkennt man sofort, dass die Patienten, die das Opiat erhalten hatten, ab einem
bestimmten Zeitpunkt eine Schmerzreduktion erlebten. Dieser Zeitpunkt liegt kurz nach der Verabreichung der Substanz. Sieht man sich hingegen die Kurve der mit Novalgin behandelten Patienten an, so sieht man überhaupt keinen klaren Einschnitt. Vielmehr dümpelt die Kurve matt vor sich hin und fällt langsam ab, so wie man das eben bei einer langsamen physiologischen Erholung vom Schmerz erwarten würde. Keinerlei Effekt ist sichtbar, und auch die Statistik kann keinen ausgraben. Novalgin ist in dieser speziellen Studie also in der Behandlung postoperativer Schmerzen wirkungslos, wenn es auf seine pure pharmakologische Substanz reduziert wird und wenn man die Psychologie abschaltet.
Was ist geschehen? Offenbar ist durch die zeitliche Verwaschung des Verabreichungszeitpunktes jener Effekt nicht eingetreten, der mit dem bewussten Ritual der Verabreichung einer Arznei einhergeht. Wenn dieser Zeitpunkt klar ist, weiß man: Jetzt ist es geschehen, jetzt kann es nur noch besser werden, endlich ist etwas für mich getan worden. All das fällt durch die Verblindung der Substanzgabe weg. Der Patient ist auf die Pharmakologie zurückgeworfen und hat keinerlei psychologische Anhaltspunkte. Die Psychologie und die Erwartung sind von dem entkoppelt, was pharmakologisch geschieht.
Dies tut einer mächtigen Substanz wie einem Opiat in der Wirksamkeit keinen Abbruch. Besonders interessant ist es aber nun, diese beiden Verläufe der Schmerzen nach versteckter Injektion zu vergleichen mit denen, die nach offener Injektion verzeichnet wurden. Hier sieht man nämlich ganz deutlich, dass die beiden Kurven unter Novalgin und dem Opiat zu beinahe identischen Schmerzreduktionen geführt haben, und zwar unmittelbar nach der Gabe des Arzneimittels. Die pharmakologische Wirkung des Opiats setzt aber erst etwa eine halbe Stunde später ein; das sieht man an der Kurve, die die verdeckte Injektion widerspiegelt. Und die pharmakologische Wirkung von Novalgin bleibt ganz aus. Die Wirkung dieser Substanz besteht in dieser Studie fast ausschließlich aus der Psychologie der Erwartung, die natürlich zusätzlich durch die bessere Bekanntheit des Stoffes unterstützt wird – oder womöglich dadurch,
dass die Patienten vor allem das wirksame Opiat erwarten. Positive Erwartung ist also ein starkes Heilmittel. Es ist so stark, dass es den vermeintlichen pharmakologischen Effekt so mancher Substanz transportiert. Daraus lässt sich doch eigentlich, finde ich, vor allem ein Schluss ziehen: Wir sollten nach Wegen Ausschau halten, wie wir diese Erwartung nutzbar machen, ohne dass wir in den Körper eingreifen, ohne dass wir Substanzen verabreichen müssen, deren Wirkung höchst zweifelhaft, deren Nebenwirkungen bedenklich und deren Kosten damit zu hoch sind.
Gute Kommunikation und Zuwendung
Kluge und gekonnte Kommunikation etwa ist ein solcher Weg. Hierzu gibt es auch einen sehr hübschen experimentellen Beleg. Ein britischer Allgemeinmediziner, K. B. Thomas, hatte 200 Patienten, die ohne klare Diagnose in seine Praxis kamen, zufällig in vier Gruppen eingeteilt: Sie bekamen entweder eine positive Botschaft und ein Placebo, nur
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