Weg mit den Pillen
Herzen verstopft, aber das ist nur die Oberfläche des Problems. Um die kümmern wir uns auch, wenn es nötig wird. Doch möglicherweise verschwindet dieses Problem, wenn wir uns um die tieferen Hintergründe kümmern. Sie haben jetzt die einmalige Chance, Ihr Leben ganz neu zu entwerfen, und Sie müssen es vielleicht sogar, damit Sie nicht wieder krank werden. Lassen Sie uns die Zeit gemeinsam nutzen und träumen, wie ein völlig anderes Leben aussehen könnte, in dem Sie genau das tun, was Ihnen entspricht – genau so, wie es gut für Sie ist und für diejenigen um Sie herum, die Ihnen wichtig sind. Wir werden uns Ihre Ernährungsgewohnheiten ansehen, denn sie sind die materielle Ursache für Ihren Arterienverschluss. Wir werden gemeinsam über Ihre Beziehungen sinnieren, denn sie spielen oft eine wichtige Rolle. Wir sollten vielleicht über Ihre Liebe nachdenken und darüber, wie wohl Sie sich an Ihrer Arbeitsstelle fühlen. Und eins versprech’ ich Ihnen: Wenn wir in all diesen Bereichen Ihr Leben neu entworfen haben und Sie sich darangemacht haben, dieses neue Leben zu leben, dann ist die Chance, dass wir Ihnen mit einem operativen Eingriff weiterhelfen müssen, sehr, sehr klein. Inzwischen können Ihnen ein
paar Medikamente als Brücke dienen, bis Sie den Rest im Griff haben.«
Und schon ist ein ganz anderer Mythos entworfen. Der Mythos von der Neugeburt durch Umgestaltung des Alten. Er ist ein bisschen komplexer als der Mythos von der zu reparierenden Maschine. Er greift weiter aus. Aber er stellt den Patienten ins Zentrum: nicht als passiven Empfänger medizinischer Eingriffe, sondern als Handelnden, als einen, der beginnt für sein Leben Verantwortung zu übernehmen. Er macht den Patienten – den Leidenden (von Lateinisch patiens , leidend) – zum Agenten – zum Handelnden (von Lateinisch agens , handelnd). Ich meine, wir müssen, um das Grundproblem in unserem Gesundheitswesen zu überwinden, nicht nur die Gültigkeit des Maschinenparadigmas relativieren. Wir müssen auch die damit einhergehende Entmündigung des Patienten hinter uns lassen, welche die Verantwortung für die Gesundheit vom Einzelnen auf das medizinische System verschiebt. Von dieser Verschiebung der Verantwortung profitieren im Moment kaum die Patienten, sondern vor allem das Krankheitssystem und seine Akteure.
Wunder können aber auch noch anders geschehen, und die Komplementärmedizin ist ein gutes Beispiel dafür. Hier werden manchmal mit spezifisch minimal wirksamen Methoden erstaunliche Erfolge erzielt. Wie und warum? Die Antwort auf diese Frage ist relativ einfach. Durch die in der Komplementärmedizin verwendeten Modelle und Mythen werden bislang gültige Definitionen für eine Weile aufgehoben. Es entsteht sozusagen ein klinisches Vakuum. In dieses klinische Vakuum, in dem Krankheit für einen Moment völlig an den Rand gestellt wird, kann Gesundheit einströmen. Wie muss man sich das vorstellen?
Frau Schmitz kommt zur Homöopathin und schildert all ihr Weh. Eine Stunde lang oder länger erzählt sie alle Symptome, nicht nur die ihrer Migräne, wegen derer sie gekommen ist, sondern auch, was sie in ihrem Leben sonst noch so alles an Krankheiten und Leiden durchgemacht hat. Sie spricht vielleicht auch zum ersten Mal über ihre Fehlgeburt und die damit verbundenen Gefühle. Sie wird
zum ersten Mal über ihre Zufriedenheit mit ihrem Sexualleben befragt und beginnt, vielleicht auch zum ersten Mal, darüber zu reden, dass sie gerne mehr empfinden würde, aber es irgendwie nicht kann. Sie wird noch zu diesem und jenem befragt. Die Homöopathin tut das nicht nur, weil sie empathisch eine psychotherapeutische Atmosphäre schaffen will, sondern weil sie diese Informationen braucht, um ihre Arzneimittelwahl zu treffen. Sie verschreibt der Patientin nach eineinhalb Stunden Gespräch homöopathisches Kochsalz in der Potenz C200. Wenn sie klug ist, gibt sie ihr ein paar Kügelchen direkt auf die Zunge und weist sie an, sich telefonisch zu melden, wenn etwas Merkwürdiges passiert, und ansonsten in vier bis sechs Wochen wiederzukommen.
Die Patientin wird nun beginnen ganz anders auf ihre eigene Situation zu schauen. Sie wird vielleicht zum ersten Mal auf Dinge achten, die sie bislang missachtet hat. Sie wird vielleicht zum ersten Mal mit ihrem Mann über die Gefühle sprechen, die sie bei ihrer Fehlgeburt hatte, und möglicherweise auch über ihr Gefühl des Ungenügens und Unbefriedigtseins im sexuellen Zusammensein. Sie wird
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